Vieles auf der Welt wŠre všllig uninteressant, wenn es nicht
verboten wŠreÒ, meinte der amerikanische
LiteraturnobelpreistrŠger
William Faulkner. Und verboten wird so
einiges. Wir
erinnern uns an
¡´ die einstweilige VerfŸgung gegen den Verkauf des Daniel-Goldhagen-
Buches ãDie katholische Kirche und der
HolocaustÒ wegen
einer falschen Bildunterschrift
¡´ die Untersagung von €u§erungen Ÿber des Kanzlers Haarfarbe
(SZ, 13.4.2002; Welt, 18.5.2002) und
dessen angeblichen au§erhŠusigen
Nachtquartiere (SZ, 31.12.2002) bzw.
AffŠren (SZ,
8.1.2003)
¡´ die einstweilige VerfŸgung gegen Dieter Bohlens Buch ãNichts als
die WahrheitÒ wegen ehrabschneidender
Passagen
¡´ die Untersagung von SchulbŸchern, die AuszŸge aus Harry-Potter-
BŸchern enthalten (SZ, 11.6.2002)
¡´ den Eklat um Roland Kochs ãJudenstern-VergleichÒ im Hessischen
Landtag
¡´ die Sperrung von Internet-Seiten durch die DŸsseldorfer Bezirksregierung
Schon diese wenigen aktuellen FŠlle
zeigen, dass auch ein demokratischer
Rechtsstaat lŠngst nicht alles erlaubt,
was nicht ausdrŸcklich
verboten ist. Die
MeinungsŠu§erungsfreiheit unterliegt so
manchen moralischen Tabus oder
gesetzlichen BeschrŠnkungen.
Manchmal notwendig, gelegentlich
skurril, hŠufig publicitywirksam.
Im Folgenden soll eine EinfŸhrung in das
weite Feld der Zensur gegeben
werden. Ich mšchte deshalb zunŠchst eine
Definition sowie
wichtige ZensurgrŸnde, Institutionen und
Gesetze vorstellen, werfe
dann einen Blick in die Geschichte der
Zensur und zeige dann einige
kursorisch ausgewŠhlte FŠlle. Ein kurzer
Vergleich mit anderen LŠndern
und ein ResŸmee beschlie§en meine
AusfŸhrungen. Aus PlatzgrŸnden
kann ich Beispiele nur kurz benennen Ð
die entsprechende
Dokumentation findet sich in dem
zweibŠndigen Werk ãAb 18 Ð zensiert,
diskutiert, unterschlagenÒ.
Definition
Der Begriff ãZensurÒ umfasst im
Sprachgebrauch zugleich Bewertung
als auch Verbot. Ulla Otto (1968, S. 5)
definiert Zensur als ãdie autoritŠre
Kontrolle mŸndlicher, schriftlicher oder
bildlicher Aussagen
[...], die direkt oder mit Hilfe von
Druckerpresse, Massenmedien oder
sonstiger Techniken interpersonaler
Kommunikation verbreitet werden
kšnnenÒ. Man unterscheidet zwischen
Vor-, Nach- und Selbstzensur.
Eine PrŠventivzensur ist in Deutschland
untersagt, wŠhrend
eine Prohibitivzensur durch nachtrŠgliches
Verbot oder Indizierung
gang und gŠbe ist. Retuschen, Schnitte,
†berbalkungen oder Themenvermeidung
stellen als Selbstzensur einer Schere im
Kopf (z.B.
der Journalisten, wenn sie ihren Job
behalten mšchten) die dritte
Form von Eingriffsmšglichkeiten dar. Es
gilt, drohende Repressalien
zu vermeiden Ð seien sie interner Art
durch Chefredakteure, Verleger,
Herausgeber und Intendanten, oder seien
sie externer Art im Hinblick
auf prestigeschŠdigende Au§enwirkung
oder Gesetzesvorschriften.
Nur schwer einzuordnen sind die
stillschweigenden Zensurformen,
wie sie etwa durch die Political
Correctness, die Antiterrorgesetze,
Telekommunikationsgesetze und den
ãGro§en LauschangriffÒ vorkommen,
wo GrundgesetzŠnderungen (z.B. Art. 13
GG: Unverletzlichkeit
der Wohnung) oder eine Aufweichung des
Datengeheimnisses
stattfinden. Der Lauschangriff kšnnte,
wie Heribert Prantl in der SZ
(2.2.1998) prophezeite, die modernste
Form von Zensur sein: Dadurch,
dass sich Informanten aus Angst vor dem
heimlichen Abhšren von
RedaktionsrŠumen erst gar nicht mehr
trauen, brisantes Material zu
offenbaren, braucht die spŠtere
staatliche (klassische) Zensur gar
nicht mehr tŠtig werden. ãWeil er das
VertrauensverhŠltnis zur Presse
zerstšrt, verhindert der Lauschangriff,
dass die Medien Dinge erfahren,
die die Staatsgewalt dann zensieren
mšchte.Ò
ZensurgrŸnde, Gesetze und Institutionen
1. GrŸnde und Gesetze
Es gibt in einer Gesellschaft vor allem
drei GrŸnde, etwas nicht zu
tun: Entweder besteht ein gesetzliches,
ein moralisches oder ein
alltŠgliches Verbot. ãZensur in
DeutschlandÒ stellt ein durchaus
heikles Thema dar, denn in der
juristischen Sichtweise existiert sie
hier zu Lande gar nicht, da nur eine
staatliche Vorzensur unter diese
Definition fŠllt. Doch, keine
Gemeinschaft kann alles allen zugŠnglich
machen. Statt des negativen Begriffs
ãZensurÒ werden die staatlichen,
halbstaatlichen und privaten Ma§nahmen
als freiwillige
Selbstkontrolle, Jugendschutz, Proporz
oder Ehrenschutz bezeichnet.
Die Grenze zwischen einfacher
Geschmacklosigkeit und strafbarer,
da sozialschŠdlicher €u§erung ist
durchaus flie§end und
wandelbar.
Freiheitsbegrenzungen sollen im
Idealfall dem friedlichen Zusammenleben,
dem Schutz von MinderjŠhrigen und
Minderheiten sowie
der šffentlichen Sicherheit dienen. Als
oberste Verfassungswerte sind
die MenschenwŸrde und die freiheitliche
demokratische Grundordnung
zu bewahren.
Zwar sichert Art. 5 GG zu: ãJeder hat
das Recht, seine Meinung in
Wort, Schrift und Bild frei zu Šu§ern
und zu verbreitenÒ, ãDie Kunst
ist freiÒ und ãEine Zensur findet nicht
stattÒ, schrŠnkt diese Zusagen
aber gleich darauf wieder ein: ãDiese
Rechte finden ihre Schranken in
den Vorschriften der allgemeinen
Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen
zum Schutz der Jugend und in dem Recht
der persšnlichen
Ehre.Ò Die EinzelfallabwŠgungen der
auslegungsbedŸrftigen Grauzone
zwischen legalem Verbot und illegaler
(Vor-)Zensur, zwischen
Kunst-/Meinungs-/Pressefreiheit und dem
Jugendschutz, dem Schutz
der Ehre Ð von Staat und Kirche, von
Privatpersonen oder Berufsgruppen
Ð halten viele Juristen in Lohn und
Brot.
Dokumentation journalist.de
1 journalist3/2003
Eine Zensur findet
nicht statt ... oder?
Vortrag auf der Jahrestagung der
Journalistenakademie der Konrad-
Adenauer-Stiftung vom 17. bis 19.
Januar auf Schloss Eichholz
Von Roland Seim
In strafrechtlicher Hinsicht sind vor
allem relevant: extremistisches,
terroristisches und rechtsradikales
Gedankengut sowie
Gewaltverherrlichung und Pornografie.
Au§erdem wachen das
Jugendschutzgesetz und das Gesetz Ÿber
die Verbreitung jugendgefŠhrdender
Schriften (GjS) Ÿber den Umgang mit
fragwŸrdigen
Medienprodukten. Die weiteren
€u§erungsdelikte Ð z.B. Billigung
einer Straftat, Verunglimpfung der
Staatssymbole etc. Ð sind im Strafgesetzbuch
(StGB) nachzulesen. An Zensurmitteln
stehen dem Staat
zur VerfŸgung: Indizierung,
Beschlagnahme und Einziehung, Strafverfahren
gegen Hersteller und Verbreiter solcher
Medien.
Privatpersonen kšnnen gegen ehrenrŸhrige
Darstellung in den Medien
mit Unterlassungsklage, einstweiliger
VerfŸgung, Verbreitungsverbot,
SchwŠrzung/€nderung von beanstandeten
Stellen, Gegendarstellung,
Schadenersatz und Schmerzensgeld
vorgehen. So klagte
der MŸnsteraner Privatdozent Dr. Siewert
auf Unterlassung der
weiteren Verbreitung des Romans
ãWilsberg und der tote ProfessorÒ
von JŸrgen Kehrer, da er sich in der
Hauptfigur (dem fiesen Professor
Kaiser) wiedererkannte und verleumdet
sah (SZ, 9.1.2003). Die Verkaufszahlen
stiegen sprunghaft.
Wirtschaftliche und politische Zensur
sind besonders schwer nachzuweisen,
da sie im Erfolgsfall selten das Licht
der …ffentlichkeit
erblicken. Problematisch erscheint etwa
die Sperrung von bestimmten
Stasi-Akten, wenn es sich um prominente
West-Politiker wie Helmut
Kohl handelt. Eine nicht immer
unumstrittene Rolle spielt auch der
Verfassungsschutz, wie z.B. Stefan Austs
neues Buch ãLockvogelÒ
Ÿber den Fall Ulrich SchmŸcker belegt.
Auch ist die Rolle von
V-MŠnnern beim Prozess um das NPD-Verbot
fragwŸrdig.
Und nicht zuletzt ist die Propaganda als
interessengeleitete
Manipulation von šffentlicher
Wahrnehmung zu nennen, wie wir sie
derzeit im Zuge der
Irak-Kriegsvorbereitungen feststellen. US-Verteidigungsminister
Rumsfeld soll Ð laut ãNew York TimesÒ
(Meldung
bei T-Online vom 16.12.2002) Ð gezielt
Falschmeldungen in befreundete
LŠnder streuen, um die Stimmung
amerikadienlich zu
beeinflussen. Im Krieg stirbt
bekanntlich die Wahrheit zuerst.
2. Institutionen
Auf den ersten Blick gibt es keine
Bewilligungsbehšrde, bei der
man eine Freigabegenehmigung erwirken
muss. Dies stimmt aber nur
zum Teil: So muss jeder Kino-/Videofilm
samt Werbematerialien der
ãFreiwilligen Selbstkontrolle der
FilmwirtschaftÒ (FSK) vorgelegt
werden, um eine Altersfreigabe zu
erhalten. UngeprŸfte Filme gelten
als ãnicht freigegeben unter 18 JahrenÒ.
Die FSK kann Schnittauflagen
verhŠngen oder die Freigabe verweigern.
Oftmals kŸrzen
Verleiher schon im Vorfeld, um eine
mšglichst niedrige Altersstufe zu
erhalten und damit eine grš§ere
Kundschaft anzusprechen. €hnliche
Selbstkontrollinstanzen gibt es in allen
Kulturbereichen (z.B. die 15
Landesmedienanstalten, FSF [Freiwillige
Selbstkontrolle Fernsehen],
FSM [Freiwillige Selbstkontrolle
Multimedia], USK [Selbstkontrolle
der Unterhaltungsspieleanbieter] usw.).
Das Chaos der Jugendschutzkontrollen
soll demnŠchst die ãKommission fŸr JugendmedienschutzÒ
und ein neuer Jugendschutz-Staatsvertrag
beseitigen helfen.
Neben der FSK werden zensorische
Eingriffe vor allem von der
BPjS (BundesprŸfstelle fŸr
jugendgefŠhrdende Schriften und Medien)
vorgenommen. Diese weltweit einzige
Behšrde ihrer Art kann
Medienobjekte indizieren, womit sie weit
reichenden VertriebsbeschrŠnkungen
wie einem Werbe- und Versandverbot sowie
einem
doppelt so hohen Mehrwertsteuersatz
unterliegen. Der stŠndig ergŠnzte
Index umfasste im Dezember 2002 Ÿber
2.850 Videofilme/
DVDs, 380 Computerspiele, rund 300
TontrŠger, ca. 150 BŸcher und
Comics sowie 730 Online-Angebote.
Au§erdem kann jedes Amtsgericht eine
Beschlagnahme/Einziehung
von Medien anordnen, wenn sie als
ãgewaltverherrlichendÒ
(derzeit 230 Titel), ãpornografischÒ
(185 Titel) oder ãrassenhetzerischÒ
(110 Titel) verurteilt wurden. Dies
fŸhrt dann zu einem bundesweiten
Totalverbot auch fŸr Erwachsene.
Zensur im weitesten Sinne kann also
sowohl vom Staat und seinen
Organen (Gesetzgeber, Gerichte,
BundesprŸfstelle, Staatsanwaltschaft,
Polizei etc.) als auch von der
Gesellschaft (in Form einzelner
BŸrger, Initiativen, Medienchefs,
Institutionen etc.) und in gewissem
Ma§e auch noch von den Kirchen und
moralmŠchtigen Religionsgemeinschaften
wie dem Zentralrat der Juden ausgeŸbt
werden.
ZensurbefŸrworter und -gegner stehen
sich meist verstŠndnislos
gegenŸber. Die BewahrpŠdagogen
misstrauen dem VerantwortungsgefŸhl
des mŸndigen BŸrgers bzw. der
GeschŠftemacher, die letztlich
alles produzieren, was verkŠuflich ist,
und fordern festgelegte Grenzen
des Erlaubten. Die anderen plŠdieren fŸr
selbst bestimmte Freiheit
und Verantwortlichkeit auf einen
Marktplatz der Ideen, wo gleichberechtigte
Rede und Gegenrede zur Einigung fŸhren.
Die steht natŸrlich
nicht in einem historisch luftleeren
Raum. Die Positionen haben
traditionelle Wurzeln und sind Ausdruck
der politischen und sozialen
Befindlichkeit.
Geschichte und AktualitŠt von Zensur
ãWas wir Ÿber unsere Gesellschaft, ja
Ÿber die Welt, in der wir
leben, wissen, wissen wir durch die MassenmedienÒ,
meinte Niklas
Luhmann. Seitdem der Mensch Gedanken
medial verbreitet, dŸrfte es
Zensur geben. Die Bibliothek von
Alexandria soll 642 durch Omar I.
mit den Worten zerstšrt worden sein:
ãWenn die BŸcher mit dem
Koran Ÿbereinstimmen, sind sie nicht
nštig. Wenn sie ihm widersprechen,
sind sie schŠdlich.Ò Die ersten
relevanten Zensurvorschriften
finden sich kurz nach Erfindung des
Buchdrucks in der
Mitte des 15. Jahrhunderts. Denn die bis
dahin alleine schriftkundigen
Kleriker erkannten schnell, dass ihnen
ihr Deutungsmonopol
abhanden kommt, wenn andere die
Schriften kopieren.
Auch zu gro§e FreizŸgigkeit konnte
Probleme geben. So wŠren um
ein Haar Michelangelos Fresken in der
Sixtina zerstšrt worden. Man
begnŸgte sich aber mit der teilweisen
†bermalung durch den so genannten
ãHosenmalerÒ Daniele da Volterra. Viele
Werke fielen vom
16. bis 18. Jahrhundert vor allem den
protestantischen BilderstŸrmern
zum Opfer.
Bei religišsen Schriften musste
sichergestellt sein, dass nur die
ãrichtige LehreÒ von den richtigen
Leuten verbreitet werde. Abweichlern
und ihren Werken drohten Inquisition und
Scheiterhaufen. Die
weltlichen Herrscher folgten dem Vorbild
und stellten Indices nicht
genehmer Publikationen auf. AutoritŠre
Zensur sollte die Macht der
Herrschenden und der jeweils
herrschenden Grundprinzipien sichern.
Meines Erachtens fŸhrt eine logische
Entwicklungslinie vom 1559
geschaffenen, berŸhmt-berŸchtigten
ãIndex librorum prohibitorumÒ
(Verzeichnis der verbotenen BŸcher) der
katholischen Kirche zum
ãGesamtverzeichnis der indizierten
SchriftenÒ der BundesprŸfstelle in
Bonn. Verlor der ãIndex RomanusÒ, auf
dem sich von Balzac bis Zol‡,
von Descartes und Kant bis Heine und
Sartre viele Klassiker der Weltliteratur
und Philosophie befanden, 1966 seine
kirchenrechtliche
Strafgewalt, so wird der 1954
geschaffene ,Index GermanicusÔ bis
heute im Namen des Jugendschutzes
fortgefŸhrt.
Doch zurŸck in die Geschichte: Mit
Erfindung der Massenmedien
seit der Industriellen Revolution
konnten sich auch untere Bevšlkerungsschichten
BŸcher, Zeitschriften und Fotos leisten.
Die BefŸrchtung,
dass als ãSchmutz und SchundÒ
kritisierte Medien die ungebildeten
und leicht beeinflussbaren Klassen sowie
die Jugend gefŠhrden,
ist eine Idee des 19. Jahrhunderts.
Zahlreiche Sittlichkeitsvereine und
Gesetze datieren auf diese Phase zurŸck.
Je nach Zeitgeist gerieten
unterschiedliche Medieninhalte in den
Brennpunkt: Waren es im frŸhen 20.
Jahrhundert vor allem der neue
Film, Kolportageromane und schlŸpfrige
Postkarten, so wurde die gesamte
Kulturlandschaft wŠhrend des Zweiten
Weltkriegs geknebelt.
Als Stichworte sollen reichen: Ermordung
von Andersdenkenden,
Gleichschaltung, Berufsverbote,
BŸcherverbrennung, Schwarze Listen.
In der Nachkriegszeit erstellten die
Alliierten Schwarze Listen und
entfernten Nazi-Schriften, die den
Prozess der Re-Education behin-
Dokumentation
2 journalist3/2003
derten. In der jungen Bundesrepublik
kamen vor allem die aus den
USA stammenden Comics ins Gerede und
gaben der frisch gegrŸndeten
BundesprŸfstelle die ersten GrŸnde zum
Einschreiten gegen
diesen ãSchmškerschundÒ. Auch das
Fernsehen stand rasch im Ruf,
die Familie zu untergraben und zur
Verdummung nicht nur der lieben
Kleinen beizutragen. Selbst ãOskar in
der MŸlltonneÒ wurde nach
Elternprotesten in den 70er Jahren aus
der deutschen ãSesamstra§eÒ
geworfen.
Seit dem KPD-Verbot 1956 wurden linke
€u§erungen kritisch
beŠugt. Ich erinnere nur an die
ãSpiegel-AffŠreÒ von 1962. Seit der
68er-Studentenrevolte sollten auch
unliebsame Darstellungen von Gewalt,
Sex oder Drogen aus dem Bewusstsein der
…ffentlichkeit verdrŠngt
werden. So durften in dem
Erotik-Ratgeber ãHelga & Bernd
zeigen 100 LiebespositionenÒ (Flensburg
1969) die beiden Protagonisten
nur in Ganzkšrperoveralls abgebildet
werden. Auf diesem Bild
wurden die erogenen Zonen auf die AnzŸge
gemalt. Die RAF-Terrorakte
im so genannten Hei§en Herbst der spŠten
70er Jahre fŸhrten zu
Notstandsgesetzen, Rasterfahndung,
Berufsverboten, dem Radikalenerlass
und unzŠhligen Prozessen wegen
€u§erungsdelikten im so
genannten ãSympathisantensumpfÒ.
Video Ð die unterhaltungselektronische
Innovation der 80er Jahre Ð
erregte Argwohn, da hier erstmals Filme
ohne Freigabe, leicht zu
kopieren und unkontrollierbar verbreitet
werden konnten. Tausende
von Werken, die sich fŸr eine Kinoverwertung
nicht anboten, kamen
erst auf den Markt und dann auf den
Index. Nicht zuletzt die von
Presse und …ffentlichkeit hochgepushte
Horror-Welle (ãMama, Papa,
ZombieÒ) machte Video zum primŠren
Feindbild und erleichterte
staatliche Eingriffe. Computerspiele,
DVD und Internet markieren
den derzeitigen Stand der Technik und
der berufsbesorgten Staatsund
JugendschŸtzer. Die unabschŠtzbaren
Mšglichkeiten der schlecht
kontrollierbaren neuen Medien bergen fŸr
sie eine gro§e BedrohungsqualitŠt.
Im Grunde Šndert sich wenig, auch wenn
die ZensurgrŸnde heute
nicht MajestŠtsbeleidigung, sondern
Verunglimpfung des Staates und
seiner Symbole, Volksverhetzung statt
Anreizung zum Klassenkampf
oder Stšrung des šffentlichen
Religionsfriedens statt GotteslŠsterung
hei§en. Zum GlŸck sind so
lebensbedrohliche Ma§nahmen etwa wie
die von islamischen Fundamentalisten
hier zu Lande nicht zu finden.
Wie die Ayatollahs mit Gegnern verfahren
sollten, bewies bereits eine
persische Banknote, auf der sie das
PortrŠt des Schahs mit einer
orientalischen Arabeske ausbalkten,
bevor die eigenen Scheine vorlagen.
In Deutschland ist der Einfluss der
Religion vergleichsweise
gering. Kircheninterne ZensurfŠlle gegen
aufmŸpfige Amtsinhaber
sind indes Legion. In diesem
Zusammenhang kann ich nur auf
die Lehrentzugsverfahren etwa gegen
Horst Herrmann, Hans
KŸng, Uta Ranke-Heinemann, Rupert Lay
oder Hubertus Mynarek
hinweisen.
Zensur Ð FŠlle und Folgen
ãEs gibt nur eine Art, Gespenster zu
bannen. Man muss sie beschreiben,
indem man ihnen den Spiegel vorhŠlt.Ò
Shakespeare, Hamlet
Zensiert, indiziert oder verboten werden
kann praktisch jedes
Medium. Die Folgen sind unterschiedlich
gravierend. WŠhrend ein
Porno, der in Erwachsenenvideotheken
nach wie vor sein Publikum
findet, von einer Indizierung wenig
Nachteile hat, kann es das Aus fŸr
ein Buch oder eine Zeitschrift bedeuten,
wenn sie nicht mehr am
Kiosk ausliegen, beworben oder per Post
verschickt werden darf. Lediglich
Tageszeitungen dŸrfen nicht indiziert
werden.
1. Printmedien
Der Buchdruck als Šltestes Massenmedium
hat auch die meiste Erfahrung
im Umgang mit Zensur. VielfŠltig sind
die EingriffsgrŸnde:
Texte und Bilder auf dem Cover oder im
Innenteil kšnnen wegen
unterschiedlichster GrŸnde
tatbestandsrelevant sein. Entsprechend
findig sind die Verbotsumgehungsstrategien,
angefangen von falschen
Angaben im Impressum Ÿber harmlos
klingende Tarnnamen bis hin zu
Privatdrucken.
Zeitgeistbedingte Tendenzen zur
FreizŸgigkeit lassen sich fŸr die
SexualitŠt ausmachen. Eine Ausgabe der
Satirezeitschrift ãSimplicissimusÒ
aus dem Jahr 1959 wurde nicht nur
indiziert und in MŸnchen
beschlagnahmt, sondern der Zeichner Kurt
Heiligenstaedt musste
auch eine saftige Geldstrafe zahlen. In
der BeschlagnahmebegrŸndung
hie§ es: ãDas Titelblatt der Nummer
verletzt durch die fast unverhŸllte
Wiedergabe der Brustwarzen der
dargestellten weiblichen
Figur das allgemeine Scham- und
SittlichkeitsgefŸhl in gesellschaftlicher
Hinsicht.Ò Durch die ãAufklŠrungswelleÒ
und die Studentenproteste
gelangten seit den spŠten 60er Jahren
Medien, die sich mit
ãSex and DrugsÒ beschŠftigten, in
Konflikt mit dem Jugendschutz.
Immer noch auf dem Index befinden sich
Werke von de Sade
(ãPhilosophie im BoudoirÒ),
Sacher-Masoch (ãVenus im PelzÒ) oder
William S. Burroughs (ãNaked LunchÒ).
Passierten die Drogen-
Erfahrungsberichte von auch in
bŸrgerlichen Kreisen anerkannten
Klassikern wie Ernst JŸnger, Walter
Benjamin oder Aldous Huxley
unbeanstandet die Zensur, so kam
Underground-Literatur der linken/
autonomen Szene rasch auf den Index.
Dort befindet sich noch heute
beispielsweise der Klassiker der
psychedelischen Bewegung, das
Buch ãPolitik der EkstaseÒ vom
ãLSD-PapstÒ Timothy Leary, dessen
Motto ãTurn on, tune in, drop outÒ die
Obrigkeit nicht gerne hšrte.
Aber auch Anleitungen zum Hanfanbau
sind, wie Anbau und Weitergabe
selber, trotz ansatzweiser
Liberalisierung untersagt.
Ein wolkiger Tatbestand ist politisch
motivierte Zensur, die sich je
nach Stimmungsklima und Gro§wetterlage
gegen linke oder rechte
Stršmungen richtet. Mal werden BŸcher
Ÿber Atomkraftgegner aus
den Bibliotheken entfernt, mal trifft es
BŸcher wie die Autobiografie
ãWie alles anfingÒ von Michael ãBommiÒ
Baumann, die Mitte der
70er Jahre zu Razzien,
Hausdurchsuchungen und Prozessen fŸhrte
und erst nach einem Rechtsstreit in
mehreren Instanzen vom Vorwurf
der UnterstŸtzung einer terroristischen
Vereinigung freigesprochen
wurde.
Der 1980 erschienene Ratgeber zum
Blaumachen ãWege zu
Wissen und Wohlstand Ð Lieber
krankfeiern als gesund schuftenÒ
wurde verboten, da Krankheitssimulation
strafbar sei. Auch die
literarische Schilderung von Gewalt kann
ein Indizierungsgrund
sein, wie Bret Easton EllisÕ
Yuppie-Roman ãAmerican PsychoÒ
belegt. Erst fŸnf Jahre nach der
Indizierung 1995 erkannte auch die
BundesprŸfstelle den kŸnstlerischen Wert
und strich das Buch vom
Index.
Ein weites Feld sind die
Persšnlichkeitsrechte. Als ãFocusÒ und
ãWeltÒ ohne Genehmigung anlŠsslich der
Publikation des Briefwechsels
zwischen Marlene Dietrich und Erich
Maria Remarque das einzig
bekannte Aktfoto der Filmdiva (ein
harmloser RŸckenakt in Schwarzwei§)
abdruckten, klagten ihre Erben
erfolgreich dagegen, weil Verstorbene
ãein gesteigertes SchutzbedŸrfnisÒ
genšssen (SZ, 10.8.2002).
ãWeltÒ und ãFocusÒ wurden zu
Unterlassung und Zahlung von je
5.000 Euro verurteilt.
€hnlich kompliziert sind die
Empfindlichkeiten, wenn es sich um
die Aufdeckung von Seilschaften und Filz
handelt. So durfte das Buch
ãUndercoverÒ von Erich Schmidt-Eenboom
nach einer Klage von betroffenen
Journalisten nur mit teilweise
geschwŠrzten Passagen vertrieben
werden. Der Bachem-Verlag entfernte
schon vor Drucklegung
2002 aus dem Buch ãGanz unter unsÒ den
Beitrag von Erwin und Ute
Scheuch, die sich wohl zu intensiv mit
dem Kšlschen KlŸngel befassten.
Trotzig druckte die SZ die
herausgenommenen Passagen ab.
Glimpflicher kam das MŠnnermagazin ãGQÒ
davon, da die von
den Grossisten beanstandeten
Internet-Erotik-Bilder des renommierten
Fotografen Thomas Ruff an den kitzligen
Stellen nachtrŠglich mit
Filzstift Ÿberbalkt werden konnten.
Trotz kŸnstlerischer Verfremdung
Dokumentation journalist.de
3 journalist3/2003
durch UnschŠrfe durften nur zensierte
Exemplare frei am Kiosk verkauft
werden.
Auch wenn spektakulŠre Razzien und
Fahndungen wie gegen die
autonomen Magazine ãInterimÒ und
ãRadikalÒ immer mal wieder
vorkommen, so stehen im aktuellen
Brennpunkt der Ermittlungen und
Verbote eher rechtsextreme
Propagandaschriften, nicht zuletzt, weil
die steigende Zahl entsprechender
Straftaten das Ansehen des
(Wirtschafts-)Standortes Deutschland
gefŠhrdet. Eine Reihe von NSSymbolen
sind hier zu Lande als Kennzeichen
verfassungsfeindlicher
Organisationen verboten. Selbst bei der
staatlich autorisierten PrŠsentation
von anerkannter Hochkultur kann es
Probleme geben. So lie§
der frŸhere Postminister Bštsch Ende
1997 die bereits gedruckte und
ausgelieferte Gedenkmarke zum Todestag
von Heinrich Heine wieder
zurŸckziehen und einstampfen, da der
Designer auf dem Bogenrand
altgermanische Runen als Symbole fŸr
Leben und Tod abgebildet
hatte, die auch von Neonazis verwendet
werden.
Ganz andere Bedenken hatte man Ende 2000
bei der Indizierung
von ãMein erstes Shopping-BuchÒ. Die
BPjS meinte, SprŸche wie
ãLehne gebastelte Geschenke abÒ wŸrden
Kinder zu egoistischem
Konsum und Markenfetischismus verleiten.
2. Comics
Einen sensiblen Seismographen des
Kampfes zwischen Zeitgeist
und Jugendschutz bilden Comics, die bei
ihrem Erscheinen zu heftigen
Kontroversen fŸhrten. Sie stellten in
den 50er Jahren den Hauptfeind
der JugendschŸtzer dar. Heute uns
harmlos Erscheinendes fŸhrte
seinerzeit zu regelrechten
BŸcherverbrennungen und Diskussionen
Ÿber den Untergang des Abendlandes. Im
Tausch gegen so genannte
ãgute JugendbŸcherÒ wanderten
Zehntausende Comics auf den Scheiterhaufen
des gesunden Volksempfindens. Ein
beliebter Feuerspruch
war: ãWas an Schmutz und Schund ich
habÕ, fort damit ins
Schmškergrab.Ò
Das gereizte Klima schŠrfte die Schere
im Kopf der Verlage, was
gelegentlich zu solch eigentŸmlichen
KuriositŠten wie Ÿberdeckenden
Sprechblasen bei ãComanche Ð Der lange
Weg nach LaramieÒ oder
wegretuschierten Waffen fŸhrte. Im
ohnehin schon idyllischen und
asexuellen Disney-Universum fliegt in
der deutschen Version
Dagobert Duck ein Schneeball statt einer
Patrone Ÿber den Kopf, denn
Waffen oder Alkoholika werden entfernt;
Atombomben mutieren zu
Dynamitstangen, Atomraketen zu
MondflŸgen und aus Uran-Transporten
werden Waggons mit Goldbarren.
Dabei sind es nicht nur schwarze Balken,
leere Seiten oder herausgeschnittene
Szenen, die als konkrete Zensuropfer
erkennbar sind.
HŠufiger, aber auch schlechter nachzuweisen,
sind die durch eine vorauseilende
Selbstzensur verstŸmmelten Beispiele.
Nur in seltenen
FŠllen ist bekannt, wie der
ursprŸngliche Zustand aussah. So erklŠren
sich z.B. die plštzlich flachbrŸstigen
Heldinnen in diversen Tarzan-
Heften. Wurden bereits harmlose
Kinderhefte zensiert, so verwundert
nicht, dass spŠter Erwachsenencomics
kontrolliert wurden. Vor allem
die im Alpha Comic Verlag erschienenen
Alben von Paolo Serpieri
mussten in den 80er und 90er Jahren
durch †berbalkungen entschŠrft
werden, um einer drohenden Indizierung
zu entgehen. In die Schlagzeilen
und schlie§lich in den Ruin geriet der
Verlag Mitte der 90er
Jahre durch eine Anzeige des
fragwŸrdigen Vereins ãM.U.T.Ò. Er erwirkte
die grš§te Nachkriegsrazzia in Ÿber
1.000 Buchhandlungen,
worauf viele LŠden sŠmtliche Titel an
den Verlag zurŸckschickten.
Der Prozess kostete Unsummen und ging
bis zum BGH. Verurteilt
wurde der Verlag wegen eines Bildes auf
einer Seite des Albums
ãAlkovengeheimnisseÒ, das nicht einmal
im eigenen Verlag erschienen
war, sondern nur von ihm vertrieben
wurde.
Bei importierten Comics wacht eine
Juristenkommission der Zeitschriftenvertreiber
Ÿber die Inhalte. Das in den USA gerne
als Zeichen
fŸr besonders finstere Schurken
verwendete Hakenkreuz z.B. bei
ãMaster ManÒ mutiert in der deutschen
Fassung des Dino Verlages
zum Fensterkreuz.
3. Satire
Kurt Tucholskys Feststellung ãWas darf
Satire Ð AllesÒ trifft heute
nur bedingt zu, wenn etwa der Bayerische
Rundfunk sich aus ãScheibenwischerÒ
ausblendet oder der WDR in den 90er Jahren
Wiglaf
Droste den Ton abdreht, als er ein
Spottgedicht auf Kardinal Ratzinger
Ÿber den €ther schicken wollte. Ein
Aufkleber fŸhrte in den
80er Jahren zu Prozess und Verurteilung
wegen GotteslŠsterung. Die
angeklagte antiklerikale Aktivistin
Birgit Ršmermann ging durch
mehrere Instanzen, musste aber die
Strafe in Hšhe von 1.000 DM
doch zahlen.
Karl Kraus meinte: ãSatire, die der
Zensor versteht, wird zu Recht
verboten.Ò Satire als Mittel der Kritik
stš§t auch dann an ihre Grenzen,
wenn sich der Karikierte wie im Fall des
SchnapsflŠschchenetiketts
namens ãHelmutÕs BirneÒ verhohnepiepelt
fŸhlt. So schrieb
das Kanzleramt am 27.3.1997 an die Firma
Dahlhoff in Ahlen: ãSie
werden daher gebeten, sofort die
Verwendung der Etiketten einzustellen,
etwa vorhandene VorrŠte an Etiketten zu
vernichten und
sicherzustellen, dass derartige
Etiketten nicht mehr gedruckt werden.Ò
Angesichts der lebhaft interessierten
Presse und in Anbetracht
der nahenden Wahlkampfes sah Helmut Kohl
indes von weiteren
Schritten ab.
Weniger GlŸck hatten 1993 die Witzbolde
von ãTitanicÒ, die regelmŠ§ig
mit Klagen und Prozessen zu kŠmpfen
haben, sei es wegen
GotteslŠsterung, Beleidigung oder
Verunglimpfung. Der kostspieligste
Fall bezog sich auf eine Collage, die
den damaligen MinisterprŠsidenten
Bjšrn Engholm in der Badewanne von Uwe
Barschel
zeigt. Das Landgericht Hamburg
verurteilte ãTitanicÒ zu 40.000 DM
Schmerzensgeld und untersagte die
Verbreitung der Abbildung. Von
weiteren juristischen Schritten musste
ãTitanicÒ aus KostengrŸnden
absehen und brachte ein Titelblatt, das
eindeutig als Satire gekennzeichnet
war.
Auch Staatsymbole wie Fahne, Hymne,
Adler, BundesprŠsident
sind gegen Verunstaltung gesichert.
Selbst staatstragende Berufsgruppen
wie Soldaten oder Polizisten genie§en
besonderen Schutz, etwa
vor solchen Entgleisungen wie dem
Aufkleber ãPolizeisportvereinÒ,
der ein Logogramm zeigt, auf dem ein
vermummter Staatsdiener auf
eine am Boden liegende Figur
einknŸppelt. Das Motiv wurde beschlagnahmt;
mehrere Verurteilungen folgten.
4. Musik
Im Musikbereich reichen die
Zensurmšglichkeiten vom Spielboykott
durch Radio- und Musiksender, Ÿber
selbstzensorische Pieptšne
bis hin zu Indizierung und Verbot. Dabei
kšnnen sowohl der Text als
auch das Cover strafrelevant sein.
Nachdem in frŸheren Jahrzehnten
vor allem schlŸpfrige
Herrenabend-Schlager einer Helen Vita Jugendverbot
erhielten, kamen in den 80er Jahren auch
Punk-Songs
(z.B. ãPolizei SA-SSÒ von Slime) auf den
Index. Die Berliner
FunPunk-Band ãDie €rzteÒ wurde wegen
Texten wie ãnoch sitzen
wir hier und spielen Schach, aber gleich
lege ich dich flachÒ
(ãGeschwisterliebeÒ) indiziert. Auch
stie§en vor allem viele Coverdesigns
von Heavy Metal- und Hard Rock-Bands den
JugendschŸtzern
moralinsauer auf.
Derzeit sind Ÿber 300 TontrŠger indiziert; ungefŠhr 50
sind wegen
Volksverhetzung sowie drei wegen Pornografie (u.a.
NOFX), fŸnf
wegen Gewalt (u.a. Bšhse Onkelz und Cannibal Corpse)
und einer
wegen Beleidigung (ãDie angefahrenen SchulkinderÒ)
verboten.
WŠhrend der Song ãTštet Onkel DittmayerÒ der OsnabrŸcker
Comedy-Show ãDie angefahrenen SchulkinderÒ vom Vorwurf
der
Gewaltaufforderung freigesprochen wurde,
beschlagnahmte das
Amtsgericht Hannover 1992 deren ulkig gemeinten
Country-Song
ãI wanna make Love to Steffi GrafÒ. Alle Platten mit
diesem StŸck
sind seitdem verboten. Die Gruppe musste 60.000 DM
Schmerzensgeld
an den Tennisstar zahlen.
Selten sind die Beispiele, wo
unterschiedliche Versionen auf
den Markt kamen, so z.B. ãVirgin KillerÒ
von den ãScorpionsÒ,
die ihr Cover wegen des
PŠdophilievorwurfs umŠnderten, oder
Dokumentation
4 journalist3/2003
ãCountry LiveÒ von ãRoxy MusicÒ, auf der
statt lasziver Bikini-
Girls in der Ÿberarbeiteten Version nur
noch die Vegetation Ÿbrig
blieb.
1996 verbot das Amtsgericht MŸnster das
LP-Cover der US-Punk-
Band NOFX, das im Schaufenster eines
Plattenladens stand. Nach
Zahlung einer Geldbu§e in Hšhe von rund
3.000 DM wurde das Verfahren
gegen die Besitzer zwar eingestellt, die
LP-Version von
ãHeavy Petting Zoo Ð Eating LambÒ blieb
aber verboten, wŠhrend das
Šhnliche CD-Motiv erlaubt ist.
Wegen Pornografie und Gewaltdarstellung
ist seit gut zehn Jahren
der TontrŠger ãButchered at BirthÒ der
Death Metal-Gruppe ãCannibal
CorpseÒ verboten. LP/CD-Cover und das
Werbematerial dŸrfen
seitdem nicht mehr verbreitet werden. Um
solchem Ungemach zu entgehen,
bringt man gelegentlich zwei Versionen
heraus: ein Original
und eine harmlose Fassung fŸr den
deutschen Markt. Andere Formen
der Selbstzensur wie die Aufkleber der
Gruppe ãSodomÒ reizen aber
eher die Neugier, als wirklich ernsthaft
zu wirken.
5. Film/Video
Von den Dreharbeiten bis zur
Fernsehausstrahlung Ð wegen seiner
Suggestivkraft stellt das Medium Film
den wohl am umfassendsten
reglementierten Bereich dar. Als
aktuelles Beispiel sei ãDer Soldat
James RyanÒ erwŠhnt, fŸr dessen
Ausstrahlung an einem Januar-
Sonntag im Jahr 2003 um 20.15 Uhr
ProSieben 500.000 Euro Strafe
zahlen soll. Der Film hatte trotz einer
siebenminŸtigen KŸrzung durch
den Sender eine ãab 16Ò-Freigabe, dessen
Ausstrahlung nach den
Fernsehrichtlinien erst ab 22 Uhr
erlaubt ist.
Auf Video oder DVD kšnnen Filme
geschnitten, indiziert oder beschlagnahmt
werden. Zurzeit sind Ÿber 400 Titel
wegen Gewaltverherrlichung
oder Pornografie verboten. Als
bekanntester Fall sei
ãTanz der TeufelÒ von Sam Raimi erwŠhnt.
Die comicartig Ÿberdrehte
Horrorgroteske beschŠftigte seit dem
Verbot 1984 alle Instanzen.
Schlie§lich gab das
Bundesverfassungsgericht acht Jahre spŠter die
um eine Minute gekŸrzte Fassung frei, da
eine Verletzung der MenschenwŸrde
bei Filmzombies kaum vorliege. Indiziert
blieb sie trotzdem.
Der preisgekršnte Film ist in Italien
Ÿbrigens ãab 14 JahrenÒ
freigegeben und lief im Fernsehen.
Ebenfalls trotz KŸrzungen beschlagnahmt
und eingezogen ist in Deutschland seit
1990 George A.
Romeros ãZombie 2 Ð Day of the DeadÒ,
der unter Kennern Kultstatus
genie§t und im Ausland frei verkŠuflich
ist.
Solch ungleiche Behandlung ruft
Verbotsumgehungsstrategien
hervor. Findige Vertreiber beliefern die
Fans mit Originalfassungen
(vor allem aus Holland, wo keine Zensur
stattfindet) oder mit
Neuveršffentlichungen unter falschem
Namen. Durch das Multimedia-
Gesetz sind allerdings alle Versionen
verbotener Filme mit
den in der deutschen Fassung bereits
untersagten gleichgestellt. Dies
erklŠrt die zahlreichen aktuellen
Verbote von DVDs wegen Inhaltsgleichheit.
Eine Grauzone stellt die Abbildung eines
Hakenkreuzes dar: So
gibt es zwei Fassungen des Plakates fŸr
den Film ãAmerican History
XÒ. Und der Verleiher des Filmes ãAmenÒ
von Constantin Costa-
Gavras nach dem Roman ãDer StellvertreterÒ
von Rolf Hochhuth zog
im vergangenen Jahr das vom
Benetton-Werbedesigner Oliviero
Toscani gestaltete Plakat wieder zurŸck
und ersetzte es zumindest in
Deutschland durch ein unverfŠnglicheres
Motiv.
6. Kunst
Kunst, spŠtestens seit Schiller als Kind
der Freiheit aufgefasst, wird
vergleichsweise selten zum Gegenstand
von Strafprozessen Ð vielleicht,
weil die gedankliche NŠhe zur
ãEntarteten KunstÒ der NS-Zeit
noch zu prŠsent ist. Gleichwohl kšnnen
auch Kunstwerke ãtatbestandsrelevantÒ
sein, etwa wenn sie als
gewaltverherrlichend, ehrabschneidend
oder pornografisch eingestuft werden
oder verbotene
Symbole enthalten. HŠufiger als Verbote
sind allerdings Protestaktionen,
Selbstzensur und publicitytrŠchtige
Skandale. Hier sei nur an den
Polit-KŸnstler Klaus Staeck erinnert,
der in den 70er Jahren die
Dutzenden von Prozessen letztlich
gewonnen hat.
Die Werkreihe ãKunst und LebenÒ des
MŸnsteraner ãTotalkŸnstlersÒ
Professor Timm Ulrichs geriet 1993 bei
einer Ausstellung in
Iserlohn in die Kritik, da der KŸnstler schon
auf der Einladungskarte
einen RŸckenakt abgebildet sehen wollte.
Die Arbeiten zeigen Abbildungen
aus Pornomagazinen, in denen ein
Kunstwerk im Hintergrund
zu sehen ist. Dabei wŠhlte Ulrichs die
Ausschnitte so, dass der Betrachter
zwar erahnt, was vor sich geht, die
entscheidenden Stellen
aber nicht sieht. Auf DrŠngen der
Gleichstellungsbeauftragten und des
Stadtdirektors wurde die Einladungskarte
eingestampft; eine ãLight-
VersionÒ (ganz in Wei§) lehnte der
KŸnstler ab. Trotz oder gerade
wegen der Kontroverse in der Tagespresse
und abtrennenden VorhŠngen
in den AusstellungsrŠumen erwies sich
die Schau als Publikumsmagnet.
Das Airbrush-GemŠlde des Schweizer
KŸnstlers und Oscar-
PreistrŠgers H. R. Giger, ãPenis
LandscapeÒ, wurde als Posterbeilage
zur LP ãFrankenchristÒ der US-Punk-Band
ãThe Dead KennedysÒ
1986 nicht nur in Deutschland indiziert,
sondern fŸhrte in den USA
auch zu einem Strafprozess gegen den
Bandleader Jello Biafra wegen
Pornografie. Erst nach jahrelangem
Prozess wurde er freigesprochen.
Der Taschen-Verlag Ÿberbalkte in der
zweiten Auflage seiner Monografie
Ÿber den US-KŸnstler Jeff Koons gut ein
Dutzend der private
parts in der Serie ãMade in HeavenÒ 1990
mit seiner damaligen Frau
Ilona Staller (Cicciolina), angeblich,
weil das Buch auch fŸr den
asiatischen Markt gedacht sei, wo die
Darstellung von Schamhaar
problematisch sei. Im Impressum steht
dann schlicht: ãDie Seiten 128
usw. mussten aus ZensurgrŸnden teilweise
geschwŠrzt werden. Die
OriginalgemŠlde weisen diese Balken
nicht auf.Ò
Als jŸngsten Fall eines
Ausstellungsverbotes sei ãBlack LowÒ von
Bjarne Melgaard im Museum MARTa
(Herford) im Sommer letzten
Jahres erwŠhnt. Erst nach einem
Rechtsgutachten genehmigte die
Stadt die Ausstellung (Einlass ãab 16
JahrenÒ), die u.a. gewalthaltige
Szenen aus dem Internet zeigte. Der
KŸnstler weigerte sich aber, die
erst halb aufgebaute Schau fertig zu
stellen, so dass die Dokumentation
der Zensurma§nahmen ein Teil der
Ausstellung wurde.
7. Werbung
Sex sells: †ber die Grenzen des
Anstandes in der Werbung wacht
u.a. der Deutsche Werberat. Wenn er
šffentliche RŸgen ausspricht,
Šndern die Firmen meistens ihre
Kampagnen oder ziehen die Plakate
zurŸck. Daneben kann Reklame aber auch Ð
wie im Fall Benneton Ð
zu hšchstrichterlichen Verboten fŸhren.
Das Motiv eines Hintern, auf
dem ein Stempel ãHIV-PositivÒ zu sehen
ist, wurde vom BGH als so
genannte Schockwerbung, die gegen die
MenschenwŸrde verstš§t,
verboten.
Das gleiche Gericht untersagte Anfang
der 90er Jahre auch die
comicartigen Etiketten der SchnapsflŠschchen
ãBusengrapscherÒ und
ãSchlŸpferstŸrmerÒ, da sie
frauenfeindlich seien und suggerierten,
dass der Genuss dieser Alkoholika die
Damen willfŠhrig mache. Ich
empfehle, die UrteilsbegrŸndung zu
lesen. Eindrucksvolle Beamtenprosa!
Zuviel NuditŠten mussten auch bei der
Werbung fŸr die
Sendung ãExpedition RobinsonÒ Ÿberbalkt
werden.
Auch Parteienwerbung kann Konflikte mit
sich bringen. Ich erinnere
an die gewollt provokanten FDP-Kampagnen
zu Zeiten von Mšllemann,
der mit Hitler in den Wahlkampf ziehen
wollte. Auf Protest
auch aus den eigenen Reihen wurde das
Motiv entschŠrft und u.a. von
den GrŸnen persifliert. Auch Minister
haben Persšnlichkeitsrechte:
So reichte Hans Eichel gerade eine
Unterlassungsklage gegen die
Fiat-Werbung ein, die sein Gesicht mit
dem Slogan ãBei Fiat geht Ihr
Etat nicht fŸr Zinsen draufÒ zeigte (SZ
15.1.2003).
8. Neue Medien Ð Computerspiele und
Internet
Der rasant wachsende Markt der neuen
Medien stellt die OrdnungshŸter
vor gro§e Probleme. Bis Gesetze und
technische Aus-
5 journalist3/2003
journalist.de
rŸstung der Strafverfolgungsbehšrden auf
dem neuesten Stand sind,
kann ein quasi rechtsfreier Raum
herrschen.
€hnlich den Videos lassen sich
Computerspiele, die wegen ihrer
realistischen Animationen und der
InteraktivitŠt eine gro§e Faszination
gerade auf Jugendliche ausŸben, leicht
kopieren und
tauschen. Gerne wird darauf hingewiesen,
dass viele der jugendlichen
AmoklŠufer z.B. in Littleton und Erfurt
Fans solcher Spiele
wie ãCounterstrikeÒ oder ãDoomÒ gewesen
seien. Die EinŸbung in
mediale Gewaltanwendung kšnne bei
prŠdisponierten Personen die
Hemmschwelle fŸr reale †bergriffe
senken. Vertreter der gegenteiligen
Katharsis-Theorie erklŠren, in einer
Gesellschaft, die das
Gewaltmonopol fŸr sich beansprucht und
dem Einzelnen kaum Abreaktionsmšglichkeiten
biete, kšnnten solche Spiele ãin
effigieÒ als
Ventil fŸr menschliche Aggressionen
dienen. Angesichts der Millionen
von verhaltensunauffŠlligen Spielern
fŠllt es allerdings schwer,
einen monokausalen Zusammenhang zwischen
bšsen Bildern und
bšsen Menschen zu konstruieren.
Gleichwohl befinden sich derzeit
rund 380 Video- und Computerspiele auf
dem Index; ein halbes Dutzend
ist verboten, u. a. ãMortal KombatÒ.
Michael Jackson verklagte
Anfang 2003 die Herstellerfirma des
Videospiels ãMichael Jacksons
Baby DropÒ, das das ãBabybaumelnÒ des
Popstars im Berliner Adlon-
Hotel verulkt.
€hnlich geht es im zumindest ansatzweise
herrschaftsfreien Cyberspace
zu, wo Firmen wie Disney, Ferrero oder
die Harry-Potter-Erfinderin
Joanne K. Rowling Webseiten untersagen,
wenn Fans markenrechtlich
geschŸtzte Figuren ins Netz stellen.
Seit Mitte der 90er Jahre
ist das Internet zu einem wichtigen
Informations- und PrŠsentationsforum
geworden. Anfangs euphorisch als alles
verŠnderndes Medium
gepriesen, stellte sich rasch
ErnŸchterung ein Ð und nicht nur in škonomischer
Hinsicht. Das virtuelle Reich der
Freiheit und Gleichheit
eršffnete auch dem Missbrauch dieser
Freiheit neue Wege. Gerade die
anarchische Struktur dieser grenz- und
gesetzŸberschreitenden Kommunikationsform,
in dem jeder User zugleich Sender und
EmpfŠnger
unredigierter Informationen sein kann,
ruft das Kontrollbegehren des
Staates hervor. Filter werden eingebaut
und Verstš§e geahndet. Inhaltlich
stehen vor allem Kinderpornografie,
Faschismus, Extremismus
und Gewaltverherrlichung im Brennpunkt.
Aber seien wir mal ehrlich: Eine Story
etwa Ÿber die VorzŸge
reibungslosen Online-Bankings oder neue
Formulare im ãvirtuellen
RathausÒ bringt deutlich weniger Quote
als ein Bericht Ÿber Sex und
Gewalt im Netz. Machen wir uns nichts
vor: Bad news are good news.
So perpetuieren nicht zuletzt die Medien
selber das Schreckbild vom
Internet als Reich des Bšsen, als Hort
perverser KinderschŠnder,
Nazis, Terroristen, Extremisten,
Kannibalen, Bombenbastler und
sonstiger Freaks. Dabei darf man aber
nicht verkennen, dass auch das
Internet nur so gut respektive schlecht
ist, wie die Menschen sind, die
es fŸttern. Ein Spiegel der
Gesellschaft. An der Fratze Šndert es nichts,
ihn zu blenden.
Das Hautgout eines Schmuddelmediums erleichtert
zensorische
Eingriffe und z.B. das
TelekommunikationsdiensteŸberwachungsgesetz.
Zwar haben es Sheriffs auf dem
ãData-HighwayÒ schwer,
denn wegen seiner dezentralen Struktur
lŠsst es sich kaum regulieren.
Mittlerweile ist die Anarchie im
Internet aber vorbei, die
Claims sind abgesteckt. Durch das
ãMultimedia-GesetzÒ sind Provider
verpflichtet, den Jugendschutz zu
berŸcksichtigen. Zudem
surfen Polizei, jugendschutz.net und
Staatsanwaltschaften durchs
Netz. Meist reicht eine Strafandrohung
aus, um unliebsame deutsche
Contents aus dem Netz zu bannen. So
wurde vor kurzem das
Filmportal www.schnittberichte.de aus
JugendschutzgrŸnden behšrdlich
geschlossen. Ob die Indizierung von
Online-Angeboten
aber sinnvoll ist, sei wegen des
unerwŸnschten Werbeeffektes
dahingestellt.
Eine diskutable Mšglichkeit,
MinderjŠhrige vor ungeeigneten
Inhalten zu schŸtzen, stellt das
ãRatingÒ-Verfahren dar: Alle Anbieter
verpflichten sich, ihre Seiten nach
speziellen Kriterien (wie viel Sex,
Gewalt oder ãbad languageÒ sie enthalten)
mit einer Altersfreigabe zu
versehen. Ein Filterprogramm (z.B. ICRA)
erlaubt dann nur den
Zugriff auf entsprechend freigegebene
Seiten.
Eine SchlŸsselrolle kommt den
Suchmaschinen zu, denn wer dort
nicht gefunden wird, existiert praktisch
nicht im Web. Wenn Regierungen
Druck z.B. auf Google ausŸben, bestimmte
Online-Angebote
nicht zu listen, dann weist dies
zensorische ZŸge auf. Es wundert
wenig, dass etwa China schon den Zugang
zu Suchmaschinen unterbindet.
Aber dass auch in Deutschland zahlreiche
Websites (vor allem
wegen rechtsideologischer Inhalte) nicht
aufgelistet werden, erscheint
mir bedenklich.
Eine neue QualitŠt zeigt die Anordnung
des DŸsseldorfer RegierungsprŠsidenten
JŸrgen BŸssow, der Ende 2001 78
nordrhein-westfŠlische
Provider anwies, den Zugang zu einigen
rechtsradikalen
Websites zu sperren. 38 Provider legten
Widerspruch gegen die
SperrverfŸgung ein. Das
Verwaltungsgericht DŸsseldorf hat die
RechtmŠ§igkeit dieser Anordnung jetzt
bestŠtigt.
Andere LŠnder Ð andere Sitten
Jede Gesellschaft hat ihre eigenen
Empfindlichkeiten, die den
Einsatz zensorischer Ma§nahmen
rechtfertigen sollen. In repressiven
Staaten wie dem Irak, Iran, China,
Nordkorea oder auch
Russland kšnnen unerwŸnschte €u§erungen
strenge Strafen nach
sich ziehen.
Aber auch in demokratischen
Rechtsstaaten gibt es AnimositŠten.
So verwahrte sich die Schweiz Mitte
Dezember 2002 gegen das
Buchcover von ãImperfect JusticeÒ des
amerikanischen Autors
Eizenstat, da auf dem Umschlag ein
Hakenkreuz aus Goldbarren Ÿber
der Schweizer Nationalfahne zu sehen
ist. Rechtliche Schritte gegen
eine Veršffentlichung werden geprŸft.
BŸrgerrechtsorganisationen wie Reporter
ohne Grenzen (www.
rsf.org) veršffentlichen zur
internationalen Pressefreiheit LŠnderrankings.
Beim aktuellen Ranking schneidet Deutschland
Ÿbrigens
mit einem Platz unter den ersten fŸnf
LŠndern recht gut ab. Weit abgeschlagen
auf Platz 40 findet sich Italien, was
auf die fragwŸrdige
Politik Berlusconis zurŸckzufŸhren ist.
Der Medien-Mogul und
MilliardŠr hat eine Reihe von
selbstzweckdienlichen Gesetzen verabschiedet,
die die Meinungsfreiheit massiv
einschrŠnken. Autoren
Berlusconi-kritischer Veršffentlichungen
werden mit Straf- und Zivilprozessen
in Millionenhšhe mundtot gemacht,
TV-Redakteure abgesetzt,
wenn sie nicht linientreu sind.
Im prŸden Amerika ist z.B. die
Verbreitung der ãAuschwitz-LŸgeÒ
oder anderer neonazistischer Pamphlete
(au§er wenn es sich um so
genannte ãhate speechÒ handelt) ebenso
durch die Meinungsfreiheit
gedeckt wie exzessive Gewaltdarstellung,
wŠhrend Erotik dort
strenger geahndet wird. Die USA als
ãLand of the FreeÒ, ãHome of
the BraveÒ Ð eigentlich ein Hort
traditioneller Meinungsfreiheit Ð
haben durch Bush und nach dem 11.
September mit dem ãUSA Patriot
ActÒ schwere Eingriffe in die
€u§erungsfreiheiten durchgesetzt
und planen z.B. mit dem ãTotal Awareness
ProjectÒ die GeneralŸberwachung
des Datenverkehrs. Selbst Microsoft
entfernte die
Darstellung des World Trade Centers aus
der neuesten Version des
Flugsimulator-Computerspiels. Freimut
Duve berichtet in seinem
FR-Artikel ãDas Ende der VielfaltÒ
(21.10.2001) von gefeuerten
Journalisten, die es gewagt hatten,
Bushs Politik zu kritisieren. Der
ãMarketplace of IdeasÒ ist in Gefahr zum
Sklavenmarkt der StaatsrŠson
zu verkommen. Es gab aber auch schon
vorher z.B. zahlreiche
Interessengruppen wie die ãMoral
MajorityÒ, die etwa gegen Sexdarstellungen
im Fernsehen agitierten. So vertreibt
eine Organisation
namens CleanFlicks familientauglich
gekŸrzte Hollywoodstreifen,
aus denen sie alle angeblichen Sex- und
Gewaltszenen herausgeschnitten
hat. Im Gegenzug verklagten
Produktionsfirmen die
Moralapostel wegen
Urheberrechtsverletzungen.
Dokumentation
6 journalist3/2003
ResŸmee und Ausblick
ãWenn man sŠmtliche Tabus zerstšrt und
den Menschen alles erlaubt,
nimmt man ihnen eine der wenigen
Freuden, die sie auf Erden
noch haben: die †bertretung von
Verboten.Ò (Donald Prick).
Im Grunde ist jede Zensur politisch und
ein Spiegel der Gesellschaft,
da Verbote mehr Ÿber ihren Zustand sagen
als das, was erlaubt
ist. Doch: Wer bewacht die WŠchter? Gilt
die Meinungsfreiheit auch
fŸr ihre Gegner?
Einfach darf man es sich nicht machen.
Filter und Tabus haben ihre
Berechtigung. Verbote schaffen
Orientierung und sind nicht zuletzt
ein Instrument der kulturellen
Differenzierung, der feinen Unterschiede
zwischen ãerlaubtÒ und ãnicht erlaubtÒ.
Die Verletzung von
Verboten verschafft Erkenntnisgewinn.
Sie mŸssen aber verhŠltnismŠ§ig
sein und kšnnen eine Erziehung zur
Medienkompetenz nicht
ersetzen, denn Normen strukturieren die
UnŸbersichtlichkeit des
Lebens. George Bernhard Shaw meinte:
ãFreiheit bedeutet Verantwortlichkeit;
das ist der Grund, weshalb die meisten
Menschen sich
vor ihr fŸrchten.Ò
Kienzle und Mende meinten in ihrem Buch
ãZensur in der BRDÒ,
letztlich sei jeder Mensch und jede
Behšrde bei unliebsamen €u§erungen
auf dem Sprung zum Zensor. Zensur
basiert auf der Annahme, dass
erst gesetzliche Regelungen Ÿber das,
was gedruckt, gesendet oder ins
Netz gestellt werden darf, uns vor
unserer eigenen niederen Natur bewahrt,
vor der Konfrontation mit den Urtrieben
wie Angst, Lust, Ekel,
Sex und Tod. Insbesondere MinderjŠhrige,
die in ihrem Selbst- und
Weltbild noch nicht gefestigt sind,
gelten als gefŠhrdungsgeneigt.
So will ich den sinnvollen
Jugendmedienschutzgedanken nicht in
Abrede stellen und meine, dass die
Wahrung der MenschenwŸrde
durchaus eine Rechtfertigung fŸr Zensur
und Verbote darstellt. Ohne
Diskussion gehšrt Kinderpornografie
(wenn sie real ist, bei BŸchern
oder Comics ist das schon schwieriger)
verboten. Aber diese abgefilmten
oder fotografierten Verbrechen an
Wehrlosen gehšren eh nicht
in die Diskussion um Kunstfreiheit, die
sich nur auf freiwillige und
kŸnstlerische Erzeugnisse von
Erwachsenen fŸr Erwachsene bezieht.
Gerade neue Medien werden gerne als
Verursacher fŸr gesellschaftliche
Fehlentwicklungen gebrandmarkt, wenn
au§ergewšhnlich
bizarre Verbrechen wie der Amoklauf von
Erfurt oder der Kannibalismus-
Fall in Hessen passieren. Nach Erfurt
wurde der Jugendschutz
verschŠrft, der
ãGewaltverherrlichungsparagrafÒ 131 StGB sollte auf
Anweisung der damaligen Justizministerin
DŠubler-Gmelin verstŠrkt
zum Einsatz kommen. Sie verlor Ÿbrigens
ihren Ministerposten
wegen eines Vergleichs der Politik
George W. Bushs mit der von
Hitler. ãEine Zensur findet nicht statt
...Ò?
Zumeist wird die Meinungsfreiheit als
etwas Normales hingenommen.
Sie ist aber ein stets gefŠhrdetes Gut.
Unhinterfragte Kommunikationstabus
haben die Eigenschaft, sich zu
verselbststŠndigen.
UnerwŸnschtes kann auch verdrŠngt
werden, indem die Medien nicht
darŸber berichten. So mŸssen wir der
BundesprŸfstelle dankbar sein,
dass sie alle Indizierungen und Verbote
auflistet.
WŠren wir ohne Zensur nicht um einiges
Šrmer, mŸssten wir doch
auf die Diskussion um die jeweiligen
Grenzen und den Prickel ihrer
†berschreitung verzichten, wenn uns ein
untersagtes Medienprodukt
in die Finger gerŠt. Nicht zuletzt
entfaltet Zensur eher die gegenteilige
Wirkung. Die Faszination des Verbotenen
bringt raffinierte Umgehungen
hervor, die den verfolgten Medien ein
Interesse bescheren,
das ihnen sonst kaum zuteil geworden
wŠre. Denn Indices waren
schon immer Einkaufslisten fŸr den
Giftschrank. Besonders deutlich
wird dies bei indizierten
Online-Angeboten, auf die der Fan erst durch
die exakte Internet-Adresse im
Bundesanzeiger, JMS-Report und
BPjS-Aktuell aufmerksam wird.
Aktuelle Ausstellungen wie ãDer
verbotene BlickÒ (…sterreichische
Nationalbibliothek 2002) oder ãDer
GiftschrankÒ (Bayerische Staatsbibliothek
2002) sowie die ZensurbŸcher meines
Verlages verdeutlichen
das VerhŠltnis von Wertewandel,
Zeitgeist und Geschmacksurteil,
was der …ffentlichkeit zugemutet werden
kann und was
eliminiert gehšrt. Z.B. Erotik, die noch
vor wenigen Jahrzehnten als
unzumutbar galt und nur unter der
Ladentheke mit ãVerpflichtungsscheinenÒ
an VolljŠhrige abgegeben werden durfte
oder verschŠmt in
Privateditionen erhŠltlich war, findet
sich heute an jedem Bahnhofskiosk,
im Programm der Privatsender oder im
Internet.
Diese Entwicklung wirft Fragen auf:
Droht stŠndig die Gefahr sittlicher
Verrohung und moralischer Verwahrlosung
durch den Einfluss
der Medien? Ist die zunehmende
LiberalitŠt gŸnstig oder gefŠhrlich
fŸr den ethischen Minimalkonsens einer
Gesellschaft? Ist der abgestumpfte
Konsument eines postmodernen ãanything
goesÒ wirklich
freier, oder entzaubern auf Dauer
langweilige TabubrŸche nicht auch?
Schaffen oder forcieren die Medien
BedŸrfnisse, oder sind sie nur ein
Spiegel der Gesellschaft? Und
schlie§lich der Ausblick in die kŸnftige
Entwicklung: Wenn wir heute belŠcheln,
was frŸher in den Giftschrank
verbannt wurde Ð was erwartet uns dann
in nŠchster Zeit?
Welche Werte und Tabus werden zur
Disposition stehen?
Gleichwohl erscheint das alles im
globalen Vergleich oft als Luxusproblem.
So schrieb Sonja Zekri in ihrem
SZ-Artikel ãFreiheit, die
wir meintenÒ (21.12.2002): ãDer
schŠrfste Zensor aber ist nach wie
vor die Armut: 80 Prozent der
Weltbevšlkerung haben noch nicht einmal
Telefon. Telearbeit, Telelearning und
Telemedizin bleiben Spielereien
einer privilegierten Minderheit.Ò
Da die Grenzen des in einer Demokratie
Hinnehmbaren verŠnderlich
sind, kann es keine endgŸltigen
Ergebnisse geben. Ein Grund
mehr vor allem fŸr Journalisten, Autoren
und Multiplikatoren, sie
aufmerksam zu beobachten.
Um auf den fragenden Titel meines
Vortrages zu antworten: Eine
Zensur findet tatsŠchlich nicht statt Ð
sondern viele. Zu Recht oder zu
Unrecht?
Heinrich Heine meinte: ãDie Freiheit der
Meinung setzt voraus,
dass man eine hat.Ò
Dr. Roland Seim arbeitet als
Journalist und
Online-Redakteur in MŸnster
(www.rolandseim.de)
Literaturverzeichnis
Bethmann, Andreas: X-Rated Zensurbuch,
o. O. 2002
Buchloh, Stephan: ãPervers,
jugendgefŠhrdend, staatsfeindlichÒ. Zensur
in der €ra Adenauer als Spiegel des
gesellschaftlichen Klimas,
Diss. phil., Frankfurt/M. 2002
Eisermann, Jessica: Mediengewalt. Die
gesellschaftliche Kontrolle
von Gewaltdarstellungen im Fernsehen,
Diss. phil., Opladen 2001
Fiedler, Christoph: Neue
€u§erungsfreiheit im Internet. Staatliche
Inhaltskontrolle, gesetzliche
Providerhaftung und die InhaltsneutralitŠt
šffentlicher Datennetze als Element der
Meinungsfreiheit in
einer vernetzten Welt, Baden-Baden 2002
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7 journalist3/2003
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Dr. Roland Seim arbeitet als
Journalist und
Online-Redakteur in MŸnster
(www.rolandseim.de)