Vieles auf der Welt wŠre všllig uninteressant, wenn es nicht

verboten wŠreÒ, meinte der amerikanische LiteraturnobelpreistrŠger

William Faulkner. Und verboten wird so einiges. Wir

erinnern uns an

¡´ die einstweilige VerfŸgung gegen den Verkauf des Daniel-Goldhagen-

Buches ãDie katholische Kirche und der HolocaustÒ wegen

einer falschen Bildunterschrift

¡´ die Untersagung von €u§erungen Ÿber des Kanzlers Haarfarbe

(SZ, 13.4.2002; Welt, 18.5.2002) und dessen angeblichen au§erhŠusigen

Nachtquartiere (SZ, 31.12.2002) bzw. AffŠren (SZ,

8.1.2003)

¡´ die einstweilige VerfŸgung gegen Dieter Bohlens Buch ãNichts als

die WahrheitÒ wegen ehrabschneidender Passagen

¡´ die Untersagung von SchulbŸchern, die AuszŸge aus Harry-Potter-

BŸchern enthalten (SZ, 11.6.2002)

¡´ den Eklat um Roland Kochs ãJudenstern-VergleichÒ im Hessischen

Landtag

¡´ die Sperrung von Internet-Seiten durch die DŸsseldorfer Bezirksregierung

Schon diese wenigen aktuellen FŠlle zeigen, dass auch ein demokratischer

Rechtsstaat lŠngst nicht alles erlaubt, was nicht ausdrŸcklich

verboten ist. Die MeinungsŠu§erungsfreiheit unterliegt so

manchen moralischen Tabus oder gesetzlichen BeschrŠnkungen.

Manchmal notwendig, gelegentlich skurril, hŠufig publicitywirksam.

Im Folgenden soll eine EinfŸhrung in das weite Feld der Zensur gegeben

werden. Ich mšchte deshalb zunŠchst eine Definition sowie

wichtige ZensurgrŸnde, Institutionen und Gesetze vorstellen, werfe

dann einen Blick in die Geschichte der Zensur und zeige dann einige

kursorisch ausgewŠhlte FŠlle. Ein kurzer Vergleich mit anderen LŠndern

und ein ResŸmee beschlie§en meine AusfŸhrungen. Aus PlatzgrŸnden

kann ich Beispiele nur kurz benennen Ð die entsprechende

Dokumentation findet sich in dem zweibŠndigen Werk ãAb 18 Ð zensiert,

diskutiert, unterschlagenÒ.

Definition

Der Begriff ãZensurÒ umfasst im Sprachgebrauch zugleich Bewertung

als auch Verbot. Ulla Otto (1968, S. 5) definiert Zensur als ãdie autoritŠre

Kontrolle mŸndlicher, schriftlicher oder bildlicher Aussagen

[...], die direkt oder mit Hilfe von Druckerpresse, Massenmedien oder

sonstiger Techniken interpersonaler Kommunikation verbreitet werden

kšnnenÒ. Man unterscheidet zwischen Vor-, Nach- und Selbstzensur.

Eine PrŠventivzensur ist in Deutschland untersagt, wŠhrend

eine Prohibitivzensur durch nachtrŠgliches Verbot oder Indizierung

gang und gŠbe ist. Retuschen, Schnitte, †berbalkungen oder Themenvermeidung

stellen als Selbstzensur einer Schere im Kopf (z.B.

der Journalisten, wenn sie ihren Job behalten mšchten) die dritte

Form von Eingriffsmšglichkeiten dar. Es gilt, drohende Repressalien

zu vermeiden Ð seien sie interner Art durch Chefredakteure, Verleger,

Herausgeber und Intendanten, oder seien sie externer Art im Hinblick

auf prestigeschŠdigende Au§enwirkung oder Gesetzesvorschriften.

Nur schwer einzuordnen sind die stillschweigenden Zensurformen,

wie sie etwa durch die Political Correctness, die Antiterrorgesetze,

Telekommunikationsgesetze und den ãGro§en LauschangriffÒ vorkommen,

wo GrundgesetzŠnderungen (z.B. Art. 13 GG: Unverletzlichkeit

der Wohnung) oder eine Aufweichung des Datengeheimnisses

stattfinden. Der Lauschangriff kšnnte, wie Heribert Prantl in der SZ

(2.2.1998) prophezeite, die modernste Form von Zensur sein: Dadurch,

dass sich Informanten aus Angst vor dem heimlichen Abhšren von

RedaktionsrŠumen erst gar nicht mehr trauen, brisantes Material zu

offenbaren, braucht die spŠtere staatliche (klassische) Zensur gar

nicht mehr tŠtig werden. ãWeil er das VertrauensverhŠltnis zur Presse

zerstšrt, verhindert der Lauschangriff, dass die Medien Dinge erfahren,

die die Staatsgewalt dann zensieren mšchte.Ò

ZensurgrŸnde, Gesetze und Institutionen

1. GrŸnde und Gesetze

Es gibt in einer Gesellschaft vor allem drei GrŸnde, etwas nicht zu

tun: Entweder besteht ein gesetzliches, ein moralisches oder ein

alltŠgliches Verbot. ãZensur in DeutschlandÒ stellt ein durchaus

heikles Thema dar, denn in der juristischen Sichtweise existiert sie

hier zu Lande gar nicht, da nur eine staatliche Vorzensur unter diese

Definition fŠllt. Doch, keine Gemeinschaft kann alles allen zugŠnglich

machen. Statt des negativen Begriffs ãZensurÒ werden die staatlichen,

halbstaatlichen und privaten Ma§nahmen als freiwillige

Selbstkontrolle, Jugendschutz, Proporz oder Ehrenschutz bezeichnet.

Die Grenze zwischen einfacher Geschmacklosigkeit und strafbarer,

da sozialschŠdlicher €u§erung ist durchaus flie§end und

wandelbar.

Freiheitsbegrenzungen sollen im Idealfall dem friedlichen Zusammenleben,

dem Schutz von MinderjŠhrigen und Minderheiten sowie

der šffentlichen Sicherheit dienen. Als oberste Verfassungswerte sind

die MenschenwŸrde und die freiheitliche demokratische Grundordnung

zu bewahren.

Zwar sichert Art. 5 GG zu: ãJeder hat das Recht, seine Meinung in

Wort, Schrift und Bild frei zu Šu§ern und zu verbreitenÒ, ãDie Kunst

ist freiÒ und ãEine Zensur findet nicht stattÒ, schrŠnkt diese Zusagen

aber gleich darauf wieder ein: ãDiese Rechte finden ihre Schranken in

den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen

zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persšnlichen

Ehre.Ò Die EinzelfallabwŠgungen der auslegungsbedŸrftigen Grauzone

zwischen legalem Verbot und illegaler (Vor-)Zensur, zwischen

Kunst-/Meinungs-/Pressefreiheit und dem Jugendschutz, dem Schutz

der Ehre Ð von Staat und Kirche, von Privatpersonen oder Berufsgruppen

Ð halten viele Juristen in Lohn und Brot.

Dokumentation journalist.de

1 journalist3/2003

Eine Zensur findet

nicht statt ... oder?

Vortrag auf der Jahrestagung der Journalistenakademie der Konrad-

Adenauer-Stiftung vom 17. bis 19. Januar auf Schloss Eichholz

Von Roland Seim

In strafrechtlicher Hinsicht sind vor allem relevant: extremistisches,

terroristisches und rechtsradikales Gedankengut sowie

Gewaltverherrlichung und Pornografie. Au§erdem wachen das

Jugendschutzgesetz und das Gesetz Ÿber die Verbreitung jugendgefŠhrdender

Schriften (GjS) Ÿber den Umgang mit fragwŸrdigen

Medienprodukten. Die weiteren €u§erungsdelikte Ð z.B. Billigung

einer Straftat, Verunglimpfung der Staatssymbole etc. Ð sind im Strafgesetzbuch

(StGB) nachzulesen. An Zensurmitteln stehen dem Staat

zur VerfŸgung: Indizierung, Beschlagnahme und Einziehung, Strafverfahren

gegen Hersteller und Verbreiter solcher Medien.

Privatpersonen kšnnen gegen ehrenrŸhrige Darstellung in den Medien

mit Unterlassungsklage, einstweiliger VerfŸgung, Verbreitungsverbot,

SchwŠrzung/€nderung von beanstandeten Stellen, Gegendarstellung,

Schadenersatz und Schmerzensgeld vorgehen. So klagte

der MŸnsteraner Privatdozent Dr. Siewert auf Unterlassung der

weiteren Verbreitung des Romans ãWilsberg und der tote ProfessorÒ

von JŸrgen Kehrer, da er sich in der Hauptfigur (dem fiesen Professor

Kaiser) wiedererkannte und verleumdet sah (SZ, 9.1.2003). Die Verkaufszahlen

stiegen sprunghaft.

Wirtschaftliche und politische Zensur sind besonders schwer nachzuweisen,

da sie im Erfolgsfall selten das Licht der …ffentlichkeit

erblicken. Problematisch erscheint etwa die Sperrung von bestimmten

Stasi-Akten, wenn es sich um prominente West-Politiker wie Helmut

Kohl handelt. Eine nicht immer unumstrittene Rolle spielt auch der

Verfassungsschutz, wie z.B. Stefan Austs neues Buch ãLockvogelÒ

Ÿber den Fall Ulrich SchmŸcker belegt. Auch ist die Rolle von

V-MŠnnern beim Prozess um das NPD-Verbot fragwŸrdig.

Und nicht zuletzt ist die Propaganda als interessengeleitete

Manipulation von šffentlicher Wahrnehmung zu nennen, wie wir sie

derzeit im Zuge der Irak-Kriegsvorbereitungen feststellen. US-Verteidigungsminister

Rumsfeld soll Ð laut ãNew York TimesÒ (Meldung

bei T-Online vom 16.12.2002) Ð gezielt Falschmeldungen in befreundete

LŠnder streuen, um die Stimmung amerikadienlich zu

beeinflussen. Im Krieg stirbt bekanntlich die Wahrheit zuerst.

2. Institutionen

Auf den ersten Blick gibt es keine Bewilligungsbehšrde, bei der

man eine Freigabegenehmigung erwirken muss. Dies stimmt aber nur

zum Teil: So muss jeder Kino-/Videofilm samt Werbematerialien der

ãFreiwilligen Selbstkontrolle der FilmwirtschaftÒ (FSK) vorgelegt

werden, um eine Altersfreigabe zu erhalten. UngeprŸfte Filme gelten

als ãnicht freigegeben unter 18 JahrenÒ. Die FSK kann Schnittauflagen

verhŠngen oder die Freigabe verweigern. Oftmals kŸrzen

Verleiher schon im Vorfeld, um eine mšglichst niedrige Altersstufe zu

erhalten und damit eine grš§ere Kundschaft anzusprechen. €hnliche

Selbstkontrollinstanzen gibt es in allen Kulturbereichen (z.B. die 15

Landesmedienanstalten, FSF [Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen],

FSM [Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia], USK [Selbstkontrolle

der Unterhaltungsspieleanbieter] usw.). Das Chaos der Jugendschutzkontrollen

soll demnŠchst die ãKommission fŸr JugendmedienschutzÒ

und ein neuer Jugendschutz-Staatsvertrag beseitigen helfen.

Neben der FSK werden zensorische Eingriffe vor allem von der

BPjS (BundesprŸfstelle fŸr jugendgefŠhrdende Schriften und Medien)

vorgenommen. Diese weltweit einzige Behšrde ihrer Art kann

Medienobjekte indizieren, womit sie weit reichenden VertriebsbeschrŠnkungen

wie einem Werbe- und Versandverbot sowie einem

doppelt so hohen Mehrwertsteuersatz unterliegen. Der stŠndig ergŠnzte

Index umfasste im Dezember 2002 Ÿber 2.850 Videofilme/

DVDs, 380 Computerspiele, rund 300 TontrŠger, ca. 150 BŸcher und

Comics sowie 730 Online-Angebote.

Au§erdem kann jedes Amtsgericht eine Beschlagnahme/Einziehung

von Medien anordnen, wenn sie als ãgewaltverherrlichendÒ

(derzeit 230 Titel), ãpornografischÒ (185 Titel) oder ãrassenhetzerischÒ

(110 Titel) verurteilt wurden. Dies fŸhrt dann zu einem bundesweiten

Totalverbot auch fŸr Erwachsene.

Zensur im weitesten Sinne kann also sowohl vom Staat und seinen

Organen (Gesetzgeber, Gerichte, BundesprŸfstelle, Staatsanwaltschaft,

Polizei etc.) als auch von der Gesellschaft (in Form einzelner

BŸrger, Initiativen, Medienchefs, Institutionen etc.) und in gewissem

Ma§e auch noch von den Kirchen und moralmŠchtigen Religionsgemeinschaften

wie dem Zentralrat der Juden ausgeŸbt werden.

ZensurbefŸrworter und -gegner stehen sich meist verstŠndnislos

gegenŸber. Die BewahrpŠdagogen misstrauen dem VerantwortungsgefŸhl

des mŸndigen BŸrgers bzw. der GeschŠftemacher, die letztlich

alles produzieren, was verkŠuflich ist, und fordern festgelegte Grenzen

des Erlaubten. Die anderen plŠdieren fŸr selbst bestimmte Freiheit

und Verantwortlichkeit auf einen Marktplatz der Ideen, wo gleichberechtigte

Rede und Gegenrede zur Einigung fŸhren. Die steht natŸrlich

nicht in einem historisch luftleeren Raum. Die Positionen haben

traditionelle Wurzeln und sind Ausdruck der politischen und sozialen

Befindlichkeit.

Geschichte und AktualitŠt von Zensur

ãWas wir Ÿber unsere Gesellschaft, ja Ÿber die Welt, in der wir

leben, wissen, wissen wir durch die MassenmedienÒ, meinte Niklas

Luhmann. Seitdem der Mensch Gedanken medial verbreitet, dŸrfte es

Zensur geben. Die Bibliothek von Alexandria soll 642 durch Omar I.

mit den Worten zerstšrt worden sein: ãWenn die BŸcher mit dem

Koran Ÿbereinstimmen, sind sie nicht nštig. Wenn sie ihm widersprechen,

sind sie schŠdlich.Ò Die ersten relevanten Zensurvorschriften

finden sich kurz nach Erfindung des Buchdrucks in der

Mitte des 15. Jahrhunderts. Denn die bis dahin alleine schriftkundigen

Kleriker erkannten schnell, dass ihnen ihr Deutungsmonopol

abhanden kommt, wenn andere die Schriften kopieren.

Auch zu gro§e FreizŸgigkeit konnte Probleme geben. So wŠren um

ein Haar Michelangelos Fresken in der Sixtina zerstšrt worden. Man

begnŸgte sich aber mit der teilweisen †bermalung durch den so genannten

ãHosenmalerÒ Daniele da Volterra. Viele Werke fielen vom

16. bis 18. Jahrhundert vor allem den protestantischen BilderstŸrmern

zum Opfer.

Bei religišsen Schriften musste sichergestellt sein, dass nur die

ãrichtige LehreÒ von den richtigen Leuten verbreitet werde. Abweichlern

und ihren Werken drohten Inquisition und Scheiterhaufen. Die

weltlichen Herrscher folgten dem Vorbild und stellten Indices nicht

genehmer Publikationen auf. AutoritŠre Zensur sollte die Macht der

Herrschenden und der jeweils herrschenden Grundprinzipien sichern.

Meines Erachtens fŸhrt eine logische Entwicklungslinie vom 1559

geschaffenen, berŸhmt-berŸchtigten ãIndex librorum prohibitorumÒ

(Verzeichnis der verbotenen BŸcher) der katholischen Kirche zum

ãGesamtverzeichnis der indizierten SchriftenÒ der BundesprŸfstelle in

Bonn. Verlor der ãIndex RomanusÒ, auf dem sich von Balzac bis Zol‡,

von Descartes und Kant bis Heine und Sartre viele Klassiker der Weltliteratur

und Philosophie befanden, 1966 seine kirchenrechtliche

Strafgewalt, so wird der 1954 geschaffene ,Index GermanicusÔ bis

heute im Namen des Jugendschutzes fortgefŸhrt.

Doch zurŸck in die Geschichte: Mit Erfindung der Massenmedien

seit der Industriellen Revolution konnten sich auch untere Bevšlkerungsschichten

BŸcher, Zeitschriften und Fotos leisten. Die BefŸrchtung,

dass als ãSchmutz und SchundÒ kritisierte Medien die ungebildeten

und leicht beeinflussbaren Klassen sowie die Jugend gefŠhrden,

ist eine Idee des 19. Jahrhunderts. Zahlreiche Sittlichkeitsvereine und

Gesetze datieren auf diese Phase zurŸck.

Je nach Zeitgeist gerieten unterschiedliche Medieninhalte in den

Brennpunkt: Waren es im frŸhen 20. Jahrhundert vor allem der neue

Film, Kolportageromane und schlŸpfrige Postkarten, so wurde die gesamte

Kulturlandschaft wŠhrend des Zweiten Weltkriegs geknebelt.

Als Stichworte sollen reichen: Ermordung von Andersdenkenden,

Gleichschaltung, Berufsverbote, BŸcherverbrennung, Schwarze Listen.

In der Nachkriegszeit erstellten die Alliierten Schwarze Listen und

entfernten Nazi-Schriften, die den Prozess der Re-Education behin-

Dokumentation

2 journalist3/2003

derten. In der jungen Bundesrepublik kamen vor allem die aus den

USA stammenden Comics ins Gerede und gaben der frisch gegrŸndeten

BundesprŸfstelle die ersten GrŸnde zum Einschreiten gegen

diesen ãSchmškerschundÒ. Auch das Fernsehen stand rasch im Ruf,

die Familie zu untergraben und zur Verdummung nicht nur der lieben

Kleinen beizutragen. Selbst ãOskar in der MŸlltonneÒ wurde nach

Elternprotesten in den 70er Jahren aus der deutschen ãSesamstra§eÒ

geworfen.

Seit dem KPD-Verbot 1956 wurden linke €u§erungen kritisch

beŠugt. Ich erinnere nur an die ãSpiegel-AffŠreÒ von 1962. Seit der

68er-Studentenrevolte sollten auch unliebsame Darstellungen von Gewalt,

Sex oder Drogen aus dem Bewusstsein der …ffentlichkeit verdrŠngt

werden. So durften in dem Erotik-Ratgeber ãHelga & Bernd

zeigen 100 LiebespositionenÒ (Flensburg 1969) die beiden Protagonisten

nur in Ganzkšrperoveralls abgebildet werden. Auf diesem Bild

wurden die erogenen Zonen auf die AnzŸge gemalt. Die RAF-Terrorakte

im so genannten Hei§en Herbst der spŠten 70er Jahre fŸhrten zu

Notstandsgesetzen, Rasterfahndung, Berufsverboten, dem Radikalenerlass

und unzŠhligen Prozessen wegen €u§erungsdelikten im so

genannten ãSympathisantensumpfÒ.

Video Ð die unterhaltungselektronische Innovation der 80er Jahre Ð

erregte Argwohn, da hier erstmals Filme ohne Freigabe, leicht zu

kopieren und unkontrollierbar verbreitet werden konnten. Tausende

von Werken, die sich fŸr eine Kinoverwertung nicht anboten, kamen

erst auf den Markt und dann auf den Index. Nicht zuletzt die von

Presse und …ffentlichkeit hochgepushte Horror-Welle (ãMama, Papa,

ZombieÒ) machte Video zum primŠren Feindbild und erleichterte

staatliche Eingriffe. Computerspiele, DVD und Internet markieren

den derzeitigen Stand der Technik und der berufsbesorgten Staatsund

JugendschŸtzer. Die unabschŠtzbaren Mšglichkeiten der schlecht

kontrollierbaren neuen Medien bergen fŸr sie eine gro§e BedrohungsqualitŠt.

Im Grunde Šndert sich wenig, auch wenn die ZensurgrŸnde heute

nicht MajestŠtsbeleidigung, sondern Verunglimpfung des Staates und

seiner Symbole, Volksverhetzung statt Anreizung zum Klassenkampf

oder Stšrung des šffentlichen Religionsfriedens statt GotteslŠsterung

hei§en. Zum GlŸck sind so lebensbedrohliche Ma§nahmen etwa wie

die von islamischen Fundamentalisten hier zu Lande nicht zu finden.

Wie die Ayatollahs mit Gegnern verfahren sollten, bewies bereits eine

persische Banknote, auf der sie das PortrŠt des Schahs mit einer

orientalischen Arabeske ausbalkten, bevor die eigenen Scheine vorlagen.

In Deutschland ist der Einfluss der Religion vergleichsweise

gering. Kircheninterne ZensurfŠlle gegen aufmŸpfige Amtsinhaber

sind indes Legion. In diesem Zusammenhang kann ich nur auf

die Lehrentzugsverfahren etwa gegen Horst Herrmann, Hans

KŸng, Uta Ranke-Heinemann, Rupert Lay oder Hubertus Mynarek

hinweisen.

Zensur Ð FŠlle und Folgen

ãEs gibt nur eine Art, Gespenster zu bannen. Man muss sie beschreiben,

indem man ihnen den Spiegel vorhŠlt.Ò

Shakespeare, Hamlet

Zensiert, indiziert oder verboten werden kann praktisch jedes

Medium. Die Folgen sind unterschiedlich gravierend. WŠhrend ein

Porno, der in Erwachsenenvideotheken nach wie vor sein Publikum

findet, von einer Indizierung wenig Nachteile hat, kann es das Aus fŸr

ein Buch oder eine Zeitschrift bedeuten, wenn sie nicht mehr am

Kiosk ausliegen, beworben oder per Post verschickt werden darf. Lediglich

Tageszeitungen dŸrfen nicht indiziert werden.

1. Printmedien

Der Buchdruck als Šltestes Massenmedium hat auch die meiste Erfahrung

im Umgang mit Zensur. VielfŠltig sind die EingriffsgrŸnde:

Texte und Bilder auf dem Cover oder im Innenteil kšnnen wegen

unterschiedlichster GrŸnde tatbestandsrelevant sein. Entsprechend

findig sind die Verbotsumgehungsstrategien, angefangen von falschen

Angaben im Impressum Ÿber harmlos klingende Tarnnamen bis hin zu

Privatdrucken.

Zeitgeistbedingte Tendenzen zur FreizŸgigkeit lassen sich fŸr die

SexualitŠt ausmachen. Eine Ausgabe der Satirezeitschrift ãSimplicissimusÒ

aus dem Jahr 1959 wurde nicht nur indiziert und in MŸnchen

beschlagnahmt, sondern der Zeichner Kurt Heiligenstaedt musste

auch eine saftige Geldstrafe zahlen. In der BeschlagnahmebegrŸndung

hie§ es: ãDas Titelblatt der Nummer verletzt durch die fast unverhŸllte

Wiedergabe der Brustwarzen der dargestellten weiblichen

Figur das allgemeine Scham- und SittlichkeitsgefŸhl in gesellschaftlicher

Hinsicht.Ò Durch die ãAufklŠrungswelleÒ und die Studentenproteste

gelangten seit den spŠten 60er Jahren Medien, die sich mit

ãSex and DrugsÒ beschŠftigten, in Konflikt mit dem Jugendschutz.

Immer noch auf dem Index befinden sich Werke von de Sade

(ãPhilosophie im BoudoirÒ), Sacher-Masoch (ãVenus im PelzÒ) oder

William S. Burroughs (ãNaked LunchÒ). Passierten die Drogen-

Erfahrungsberichte von auch in bŸrgerlichen Kreisen anerkannten

Klassikern wie Ernst JŸnger, Walter Benjamin oder Aldous Huxley

unbeanstandet die Zensur, so kam Underground-Literatur der linken/

autonomen Szene rasch auf den Index. Dort befindet sich noch heute

beispielsweise der Klassiker der psychedelischen Bewegung, das

Buch ãPolitik der EkstaseÒ vom ãLSD-PapstÒ Timothy Leary, dessen

Motto ãTurn on, tune in, drop outÒ die Obrigkeit nicht gerne hšrte.

Aber auch Anleitungen zum Hanfanbau sind, wie Anbau und Weitergabe

selber, trotz ansatzweiser Liberalisierung untersagt.

Ein wolkiger Tatbestand ist politisch motivierte Zensur, die sich je

nach Stimmungsklima und Gro§wetterlage gegen linke oder rechte

Stršmungen richtet. Mal werden BŸcher Ÿber Atomkraftgegner aus

den Bibliotheken entfernt, mal trifft es BŸcher wie die Autobiografie

ãWie alles anfingÒ von Michael ãBommiÒ Baumann, die Mitte der

70er Jahre zu Razzien, Hausdurchsuchungen und Prozessen fŸhrte

und erst nach einem Rechtsstreit in mehreren Instanzen vom Vorwurf

der UnterstŸtzung einer terroristischen Vereinigung freigesprochen

wurde.

Der 1980 erschienene Ratgeber zum Blaumachen ãWege zu

Wissen und Wohlstand Ð Lieber krankfeiern als gesund schuftenÒ

wurde verboten, da Krankheitssimulation strafbar sei. Auch die

literarische Schilderung von Gewalt kann ein Indizierungsgrund

sein, wie Bret Easton EllisÕ Yuppie-Roman ãAmerican PsychoÒ

belegt. Erst fŸnf Jahre nach der Indizierung 1995 erkannte auch die

BundesprŸfstelle den kŸnstlerischen Wert und strich das Buch vom

Index.

Ein weites Feld sind die Persšnlichkeitsrechte. Als ãFocusÒ und

ãWeltÒ ohne Genehmigung anlŠsslich der Publikation des Briefwechsels

zwischen Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque das einzig

bekannte Aktfoto der Filmdiva (ein harmloser RŸckenakt in Schwarzwei§)

abdruckten, klagten ihre Erben erfolgreich dagegen, weil Verstorbene

ãein gesteigertes SchutzbedŸrfnisÒ genšssen (SZ, 10.8.2002).

ãWeltÒ und ãFocusÒ wurden zu Unterlassung und Zahlung von je

5.000 Euro verurteilt.

€hnlich kompliziert sind die Empfindlichkeiten, wenn es sich um

die Aufdeckung von Seilschaften und Filz handelt. So durfte das Buch

ãUndercoverÒ von Erich Schmidt-Eenboom nach einer Klage von betroffenen

Journalisten nur mit teilweise geschwŠrzten Passagen vertrieben

werden. Der Bachem-Verlag entfernte schon vor Drucklegung

2002 aus dem Buch ãGanz unter unsÒ den Beitrag von Erwin und Ute

Scheuch, die sich wohl zu intensiv mit dem Kšlschen KlŸngel befassten.

Trotzig druckte die SZ die herausgenommenen Passagen ab.

Glimpflicher kam das MŠnnermagazin ãGQÒ davon, da die von

den Grossisten beanstandeten Internet-Erotik-Bilder des renommierten

Fotografen Thomas Ruff an den kitzligen Stellen nachtrŠglich mit

Filzstift Ÿberbalkt werden konnten. Trotz kŸnstlerischer Verfremdung

Dokumentation journalist.de

3 journalist3/2003

durch UnschŠrfe durften nur zensierte Exemplare frei am Kiosk verkauft

werden.

Auch wenn spektakulŠre Razzien und Fahndungen wie gegen die

autonomen Magazine ãInterimÒ und ãRadikalÒ immer mal wieder

vorkommen, so stehen im aktuellen Brennpunkt der Ermittlungen und

Verbote eher rechtsextreme Propagandaschriften, nicht zuletzt, weil

die steigende Zahl entsprechender Straftaten das Ansehen des

(Wirtschafts-)Standortes Deutschland gefŠhrdet. Eine Reihe von NSSymbolen

sind hier zu Lande als Kennzeichen verfassungsfeindlicher

Organisationen verboten. Selbst bei der staatlich autorisierten PrŠsentation

von anerkannter Hochkultur kann es Probleme geben. So lie§

der frŸhere Postminister Bštsch Ende 1997 die bereits gedruckte und

ausgelieferte Gedenkmarke zum Todestag von Heinrich Heine wieder

zurŸckziehen und einstampfen, da der Designer auf dem Bogenrand

altgermanische Runen als Symbole fŸr Leben und Tod abgebildet

hatte, die auch von Neonazis verwendet werden.

Ganz andere Bedenken hatte man Ende 2000 bei der Indizierung

von ãMein erstes Shopping-BuchÒ. Die BPjS meinte, SprŸche wie

ãLehne gebastelte Geschenke abÒ wŸrden Kinder zu egoistischem

Konsum und Markenfetischismus verleiten.

2. Comics

Einen sensiblen Seismographen des Kampfes zwischen Zeitgeist

und Jugendschutz bilden Comics, die bei ihrem Erscheinen zu heftigen

Kontroversen fŸhrten. Sie stellten in den 50er Jahren den Hauptfeind

der JugendschŸtzer dar. Heute uns harmlos Erscheinendes fŸhrte

seinerzeit zu regelrechten BŸcherverbrennungen und Diskussionen

Ÿber den Untergang des Abendlandes. Im Tausch gegen so genannte

ãgute JugendbŸcherÒ wanderten Zehntausende Comics auf den Scheiterhaufen

des gesunden Volksempfindens. Ein beliebter Feuerspruch

war: ãWas an Schmutz und Schund ich habÕ, fort damit ins

Schmškergrab.Ò

Das gereizte Klima schŠrfte die Schere im Kopf der Verlage, was

gelegentlich zu solch eigentŸmlichen KuriositŠten wie Ÿberdeckenden

Sprechblasen bei ãComanche Ð Der lange Weg nach LaramieÒ oder

wegretuschierten Waffen fŸhrte. Im ohnehin schon idyllischen und

asexuellen Disney-Universum fliegt in der deutschen Version

Dagobert Duck ein Schneeball statt einer Patrone Ÿber den Kopf, denn

Waffen oder Alkoholika werden entfernt; Atombomben mutieren zu

Dynamitstangen, Atomraketen zu MondflŸgen und aus Uran-Transporten

werden Waggons mit Goldbarren.

Dabei sind es nicht nur schwarze Balken, leere Seiten oder herausgeschnittene

Szenen, die als konkrete Zensuropfer erkennbar sind.

HŠufiger, aber auch schlechter nachzuweisen, sind die durch eine vorauseilende

Selbstzensur verstŸmmelten Beispiele. Nur in seltenen

FŠllen ist bekannt, wie der ursprŸngliche Zustand aussah. So erklŠren

sich z.B. die plštzlich flachbrŸstigen Heldinnen in diversen Tarzan-

Heften. Wurden bereits harmlose Kinderhefte zensiert, so verwundert

nicht, dass spŠter Erwachsenencomics kontrolliert wurden. Vor allem

die im Alpha Comic Verlag erschienenen Alben von Paolo Serpieri

mussten in den 80er und 90er Jahren durch †berbalkungen entschŠrft

werden, um einer drohenden Indizierung zu entgehen. In die Schlagzeilen

und schlie§lich in den Ruin geriet der Verlag Mitte der 90er

Jahre durch eine Anzeige des fragwŸrdigen Vereins ãM.U.T.Ò. Er erwirkte

die grš§te Nachkriegsrazzia in Ÿber 1.000 Buchhandlungen,

worauf viele LŠden sŠmtliche Titel an den Verlag zurŸckschickten.

Der Prozess kostete Unsummen und ging bis zum BGH. Verurteilt

wurde der Verlag wegen eines Bildes auf einer Seite des Albums

ãAlkovengeheimnisseÒ, das nicht einmal im eigenen Verlag erschienen

war, sondern nur von ihm vertrieben wurde.

Bei importierten Comics wacht eine Juristenkommission der Zeitschriftenvertreiber

Ÿber die Inhalte. Das in den USA gerne als Zeichen

fŸr besonders finstere Schurken verwendete Hakenkreuz z.B. bei

ãMaster ManÒ mutiert in der deutschen Fassung des Dino Verlages

zum Fensterkreuz.

3. Satire

Kurt Tucholskys Feststellung ãWas darf Satire Ð AllesÒ trifft heute

nur bedingt zu, wenn etwa der Bayerische Rundfunk sich aus ãScheibenwischerÒ

ausblendet oder der WDR in den 90er Jahren Wiglaf

Droste den Ton abdreht, als er ein Spottgedicht auf Kardinal Ratzinger

Ÿber den €ther schicken wollte. Ein Aufkleber fŸhrte in den

80er Jahren zu Prozess und Verurteilung wegen GotteslŠsterung. Die

angeklagte antiklerikale Aktivistin Birgit Ršmermann ging durch

mehrere Instanzen, musste aber die Strafe in Hšhe von 1.000 DM

doch zahlen.

Karl Kraus meinte: ãSatire, die der Zensor versteht, wird zu Recht

verboten.Ò Satire als Mittel der Kritik stš§t auch dann an ihre Grenzen,

wenn sich der Karikierte wie im Fall des SchnapsflŠschchenetiketts

namens ãHelmutÕs BirneÒ verhohnepiepelt fŸhlt. So schrieb

das Kanzleramt am 27.3.1997 an die Firma Dahlhoff in Ahlen: ãSie

werden daher gebeten, sofort die Verwendung der Etiketten einzustellen,

etwa vorhandene VorrŠte an Etiketten zu vernichten und

sicherzustellen, dass derartige Etiketten nicht mehr gedruckt werden.Ò

Angesichts der lebhaft interessierten Presse und in Anbetracht

der nahenden Wahlkampfes sah Helmut Kohl indes von weiteren

Schritten ab.

Weniger GlŸck hatten 1993 die Witzbolde von ãTitanicÒ, die regelmŠ§ig

mit Klagen und Prozessen zu kŠmpfen haben, sei es wegen

GotteslŠsterung, Beleidigung oder Verunglimpfung. Der kostspieligste

Fall bezog sich auf eine Collage, die den damaligen MinisterprŠsidenten

Bjšrn Engholm in der Badewanne von Uwe Barschel

zeigt. Das Landgericht Hamburg verurteilte ãTitanicÒ zu 40.000 DM

Schmerzensgeld und untersagte die Verbreitung der Abbildung. Von

weiteren juristischen Schritten musste ãTitanicÒ aus KostengrŸnden

absehen und brachte ein Titelblatt, das eindeutig als Satire gekennzeichnet

war.

Auch Staatsymbole wie Fahne, Hymne, Adler, BundesprŠsident

sind gegen Verunstaltung gesichert. Selbst staatstragende Berufsgruppen

wie Soldaten oder Polizisten genie§en besonderen Schutz, etwa

vor solchen Entgleisungen wie dem Aufkleber ãPolizeisportvereinÒ,

der ein Logogramm zeigt, auf dem ein vermummter Staatsdiener auf

eine am Boden liegende Figur einknŸppelt. Das Motiv wurde beschlagnahmt;

mehrere Verurteilungen folgten.

4. Musik

Im Musikbereich reichen die Zensurmšglichkeiten vom Spielboykott

durch Radio- und Musiksender, Ÿber selbstzensorische Pieptšne

bis hin zu Indizierung und Verbot. Dabei kšnnen sowohl der Text als

auch das Cover strafrelevant sein. Nachdem in frŸheren Jahrzehnten

vor allem schlŸpfrige Herrenabend-Schlager einer Helen Vita Jugendverbot

erhielten, kamen in den 80er Jahren auch Punk-Songs

(z.B. ãPolizei SA-SSÒ von Slime) auf den Index. Die Berliner

FunPunk-Band ãDie €rzteÒ wurde wegen Texten wie ãnoch sitzen

wir hier und spielen Schach, aber gleich lege ich dich flachÒ

(ãGeschwisterliebeÒ) indiziert. Auch stie§en vor allem viele Coverdesigns

von Heavy Metal- und Hard Rock-Bands den JugendschŸtzern

moralinsauer auf.

Derzeit sind Ÿber 300 TontrŠger indiziert; ungefŠhr 50 sind wegen

Volksverhetzung sowie drei wegen Pornografie (u.a. NOFX), fŸnf

wegen Gewalt (u.a. Bšhse Onkelz und Cannibal Corpse) und einer

wegen Beleidigung (ãDie angefahrenen SchulkinderÒ) verboten.

WŠhrend der Song ãTštet Onkel DittmayerÒ der OsnabrŸcker

Comedy-Show ãDie angefahrenen SchulkinderÒ vom Vorwurf der

Gewaltaufforderung freigesprochen wurde, beschlagnahmte das

Amtsgericht Hannover 1992 deren ulkig gemeinten Country-Song

ãI wanna make Love to Steffi GrafÒ. Alle Platten mit diesem StŸck

sind seitdem verboten. Die Gruppe musste 60.000 DM Schmerzensgeld

an den Tennisstar zahlen.

Selten sind die Beispiele, wo unterschiedliche Versionen auf

den Markt kamen, so z.B. ãVirgin KillerÒ von den ãScorpionsÒ,

die ihr Cover wegen des PŠdophilievorwurfs umŠnderten, oder

Dokumentation

4 journalist3/2003

ãCountry LiveÒ von ãRoxy MusicÒ, auf der statt lasziver Bikini-

Girls in der Ÿberarbeiteten Version nur noch die Vegetation Ÿbrig

blieb.

1996 verbot das Amtsgericht MŸnster das LP-Cover der US-Punk-

Band NOFX, das im Schaufenster eines Plattenladens stand. Nach

Zahlung einer Geldbu§e in Hšhe von rund 3.000 DM wurde das Verfahren

gegen die Besitzer zwar eingestellt, die LP-Version von

ãHeavy Petting Zoo Ð Eating LambÒ blieb aber verboten, wŠhrend das

Šhnliche CD-Motiv erlaubt ist.

Wegen Pornografie und Gewaltdarstellung ist seit gut zehn Jahren

der TontrŠger ãButchered at BirthÒ der Death Metal-Gruppe ãCannibal

CorpseÒ verboten. LP/CD-Cover und das Werbematerial dŸrfen

seitdem nicht mehr verbreitet werden. Um solchem Ungemach zu entgehen,

bringt man gelegentlich zwei Versionen heraus: ein Original

und eine harmlose Fassung fŸr den deutschen Markt. Andere Formen

der Selbstzensur wie die Aufkleber der Gruppe ãSodomÒ reizen aber

eher die Neugier, als wirklich ernsthaft zu wirken.

5. Film/Video

Von den Dreharbeiten bis zur Fernsehausstrahlung Ð wegen seiner

Suggestivkraft stellt das Medium Film den wohl am umfassendsten

reglementierten Bereich dar. Als aktuelles Beispiel sei ãDer Soldat

James RyanÒ erwŠhnt, fŸr dessen Ausstrahlung an einem Januar-

Sonntag im Jahr 2003 um 20.15 Uhr ProSieben 500.000 Euro Strafe

zahlen soll. Der Film hatte trotz einer siebenminŸtigen KŸrzung durch

den Sender eine ãab 16Ò-Freigabe, dessen Ausstrahlung nach den

Fernsehrichtlinien erst ab 22 Uhr erlaubt ist.

Auf Video oder DVD kšnnen Filme geschnitten, indiziert oder beschlagnahmt

werden. Zurzeit sind Ÿber 400 Titel wegen Gewaltverherrlichung

oder Pornografie verboten. Als bekanntester Fall sei

ãTanz der TeufelÒ von Sam Raimi erwŠhnt. Die comicartig Ÿberdrehte

Horrorgroteske beschŠftigte seit dem Verbot 1984 alle Instanzen.

Schlie§lich gab das Bundesverfassungsgericht acht Jahre spŠter die

um eine Minute gekŸrzte Fassung frei, da eine Verletzung der MenschenwŸrde

bei Filmzombies kaum vorliege. Indiziert blieb sie trotzdem.

Der preisgekršnte Film ist in Italien Ÿbrigens ãab 14 JahrenÒ

freigegeben und lief im Fernsehen. Ebenfalls trotz KŸrzungen beschlagnahmt

und eingezogen ist in Deutschland seit 1990 George A.

Romeros ãZombie 2 Ð Day of the DeadÒ, der unter Kennern Kultstatus

genie§t und im Ausland frei verkŠuflich ist.

Solch ungleiche Behandlung ruft Verbotsumgehungsstrategien

hervor. Findige Vertreiber beliefern die Fans mit Originalfassungen

(vor allem aus Holland, wo keine Zensur stattfindet) oder mit

Neuveršffentlichungen unter falschem Namen. Durch das Multimedia-

Gesetz sind allerdings alle Versionen verbotener Filme mit

den in der deutschen Fassung bereits untersagten gleichgestellt. Dies

erklŠrt die zahlreichen aktuellen Verbote von DVDs wegen Inhaltsgleichheit.

Eine Grauzone stellt die Abbildung eines Hakenkreuzes dar: So

gibt es zwei Fassungen des Plakates fŸr den Film ãAmerican History

XÒ. Und der Verleiher des Filmes ãAmenÒ von Constantin Costa-

Gavras nach dem Roman ãDer StellvertreterÒ von Rolf Hochhuth zog

im vergangenen Jahr das vom Benetton-Werbedesigner Oliviero

Toscani gestaltete Plakat wieder zurŸck und ersetzte es zumindest in

Deutschland durch ein unverfŠnglicheres Motiv.

6. Kunst

Kunst, spŠtestens seit Schiller als Kind der Freiheit aufgefasst, wird

vergleichsweise selten zum Gegenstand von Strafprozessen Ð vielleicht,

weil die gedankliche NŠhe zur ãEntarteten KunstÒ der NS-Zeit

noch zu prŠsent ist. Gleichwohl kšnnen auch Kunstwerke ãtatbestandsrelevantÒ

sein, etwa wenn sie als gewaltverherrlichend, ehrabschneidend

oder pornografisch eingestuft werden oder verbotene

Symbole enthalten. HŠufiger als Verbote sind allerdings Protestaktionen,

Selbstzensur und publicitytrŠchtige Skandale. Hier sei nur an den

Polit-KŸnstler Klaus Staeck erinnert, der in den 70er Jahren die

Dutzenden von Prozessen letztlich gewonnen hat.

Die Werkreihe ãKunst und LebenÒ des MŸnsteraner ãTotalkŸnstlersÒ

Professor Timm Ulrichs geriet 1993 bei einer Ausstellung in

Iserlohn in die Kritik, da der KŸnstler schon auf der Einladungskarte

einen RŸckenakt abgebildet sehen wollte. Die Arbeiten zeigen Abbildungen

aus Pornomagazinen, in denen ein Kunstwerk im Hintergrund

zu sehen ist. Dabei wŠhlte Ulrichs die Ausschnitte so, dass der Betrachter

zwar erahnt, was vor sich geht, die entscheidenden Stellen

aber nicht sieht. Auf DrŠngen der Gleichstellungsbeauftragten und des

Stadtdirektors wurde die Einladungskarte eingestampft; eine ãLight-

VersionÒ (ganz in Wei§) lehnte der KŸnstler ab. Trotz oder gerade

wegen der Kontroverse in der Tagespresse und abtrennenden VorhŠngen

in den AusstellungsrŠumen erwies sich die Schau als Publikumsmagnet.

Das Airbrush-GemŠlde des Schweizer KŸnstlers und Oscar-

PreistrŠgers H. R. Giger, ãPenis LandscapeÒ, wurde als Posterbeilage

zur LP ãFrankenchristÒ der US-Punk-Band ãThe Dead KennedysÒ

1986 nicht nur in Deutschland indiziert, sondern fŸhrte in den USA

auch zu einem Strafprozess gegen den Bandleader Jello Biafra wegen

Pornografie. Erst nach jahrelangem Prozess wurde er freigesprochen.

Der Taschen-Verlag Ÿberbalkte in der zweiten Auflage seiner Monografie

Ÿber den US-KŸnstler Jeff Koons gut ein Dutzend der private

parts in der Serie ãMade in HeavenÒ 1990 mit seiner damaligen Frau

Ilona Staller (Cicciolina), angeblich, weil das Buch auch fŸr den

asiatischen Markt gedacht sei, wo die Darstellung von Schamhaar

problematisch sei. Im Impressum steht dann schlicht: ãDie Seiten 128

usw. mussten aus ZensurgrŸnden teilweise geschwŠrzt werden. Die

OriginalgemŠlde weisen diese Balken nicht auf.Ò

Als jŸngsten Fall eines Ausstellungsverbotes sei ãBlack LowÒ von

Bjarne Melgaard im Museum MARTa (Herford) im Sommer letzten

Jahres erwŠhnt. Erst nach einem Rechtsgutachten genehmigte die

Stadt die Ausstellung (Einlass ãab 16 JahrenÒ), die u.a. gewalthaltige

Szenen aus dem Internet zeigte. Der KŸnstler weigerte sich aber, die

erst halb aufgebaute Schau fertig zu stellen, so dass die Dokumentation

der Zensurma§nahmen ein Teil der Ausstellung wurde.

7. Werbung

Sex sells: †ber die Grenzen des Anstandes in der Werbung wacht

u.a. der Deutsche Werberat. Wenn er šffentliche RŸgen ausspricht,

Šndern die Firmen meistens ihre Kampagnen oder ziehen die Plakate

zurŸck. Daneben kann Reklame aber auch Ð wie im Fall Benneton Ð

zu hšchstrichterlichen Verboten fŸhren. Das Motiv eines Hintern, auf

dem ein Stempel ãHIV-PositivÒ zu sehen ist, wurde vom BGH als so

genannte Schockwerbung, die gegen die MenschenwŸrde verstš§t,

verboten.

Das gleiche Gericht untersagte Anfang der 90er Jahre auch die

comicartigen Etiketten der SchnapsflŠschchen ãBusengrapscherÒ und

ãSchlŸpferstŸrmerÒ, da sie frauenfeindlich seien und suggerierten,

dass der Genuss dieser Alkoholika die Damen willfŠhrig mache. Ich

empfehle, die UrteilsbegrŸndung zu lesen. Eindrucksvolle Beamtenprosa!

Zuviel NuditŠten mussten auch bei der Werbung fŸr die

Sendung ãExpedition RobinsonÒ Ÿberbalkt werden.

Auch Parteienwerbung kann Konflikte mit sich bringen. Ich erinnere

an die gewollt provokanten FDP-Kampagnen zu Zeiten von Mšllemann,

der mit Hitler in den Wahlkampf ziehen wollte. Auf Protest

auch aus den eigenen Reihen wurde das Motiv entschŠrft und u.a. von

den GrŸnen persifliert. Auch Minister haben Persšnlichkeitsrechte:

So reichte Hans Eichel gerade eine Unterlassungsklage gegen die

Fiat-Werbung ein, die sein Gesicht mit dem Slogan ãBei Fiat geht Ihr

Etat nicht fŸr Zinsen draufÒ zeigte (SZ 15.1.2003).

8. Neue Medien Ð Computerspiele und Internet

Der rasant wachsende Markt der neuen Medien stellt die OrdnungshŸter

vor gro§e Probleme. Bis Gesetze und technische Aus-

5 journalist3/2003

journalist.de

rŸstung der Strafverfolgungsbehšrden auf dem neuesten Stand sind,

kann ein quasi rechtsfreier Raum herrschen.

€hnlich den Videos lassen sich Computerspiele, die wegen ihrer

realistischen Animationen und der InteraktivitŠt eine gro§e Faszination

gerade auf Jugendliche ausŸben, leicht kopieren und

tauschen. Gerne wird darauf hingewiesen, dass viele der jugendlichen

AmoklŠufer z.B. in Littleton und Erfurt Fans solcher Spiele

wie ãCounterstrikeÒ oder ãDoomÒ gewesen seien. Die EinŸbung in

mediale Gewaltanwendung kšnne bei prŠdisponierten Personen die

Hemmschwelle fŸr reale †bergriffe senken. Vertreter der gegenteiligen

Katharsis-Theorie erklŠren, in einer Gesellschaft, die das

Gewaltmonopol fŸr sich beansprucht und dem Einzelnen kaum Abreaktionsmšglichkeiten

biete, kšnnten solche Spiele ãin effigieÒ als

Ventil fŸr menschliche Aggressionen dienen. Angesichts der Millionen

von verhaltensunauffŠlligen Spielern fŠllt es allerdings schwer,

einen monokausalen Zusammenhang zwischen bšsen Bildern und

bšsen Menschen zu konstruieren. Gleichwohl befinden sich derzeit

rund 380 Video- und Computerspiele auf dem Index; ein halbes Dutzend

ist verboten, u. a. ãMortal KombatÒ. Michael Jackson verklagte

Anfang 2003 die Herstellerfirma des Videospiels ãMichael Jacksons

Baby DropÒ, das das ãBabybaumelnÒ des Popstars im Berliner Adlon-

Hotel verulkt.

€hnlich geht es im zumindest ansatzweise herrschaftsfreien Cyberspace

zu, wo Firmen wie Disney, Ferrero oder die Harry-Potter-Erfinderin

Joanne K. Rowling Webseiten untersagen, wenn Fans markenrechtlich

geschŸtzte Figuren ins Netz stellen. Seit Mitte der 90er Jahre

ist das Internet zu einem wichtigen Informations- und PrŠsentationsforum

geworden. Anfangs euphorisch als alles verŠnderndes Medium

gepriesen, stellte sich rasch ErnŸchterung ein Ð und nicht nur in škonomischer

Hinsicht. Das virtuelle Reich der Freiheit und Gleichheit

eršffnete auch dem Missbrauch dieser Freiheit neue Wege. Gerade die

anarchische Struktur dieser grenz- und gesetzŸberschreitenden Kommunikationsform,

in dem jeder User zugleich Sender und EmpfŠnger

unredigierter Informationen sein kann, ruft das Kontrollbegehren des

Staates hervor. Filter werden eingebaut und Verstš§e geahndet. Inhaltlich

stehen vor allem Kinderpornografie, Faschismus, Extremismus

und Gewaltverherrlichung im Brennpunkt.

Aber seien wir mal ehrlich: Eine Story etwa Ÿber die VorzŸge

reibungslosen Online-Bankings oder neue Formulare im ãvirtuellen

RathausÒ bringt deutlich weniger Quote als ein Bericht Ÿber Sex und

Gewalt im Netz. Machen wir uns nichts vor: Bad news are good news.

So perpetuieren nicht zuletzt die Medien selber das Schreckbild vom

Internet als Reich des Bšsen, als Hort perverser KinderschŠnder,

Nazis, Terroristen, Extremisten, Kannibalen, Bombenbastler und

sonstiger Freaks. Dabei darf man aber nicht verkennen, dass auch das

Internet nur so gut respektive schlecht ist, wie die Menschen sind, die

es fŸttern. Ein Spiegel der Gesellschaft. An der Fratze Šndert es nichts,

ihn zu blenden.

Das Hautgout eines Schmuddelmediums erleichtert zensorische

Eingriffe und z.B. das TelekommunikationsdiensteŸberwachungsgesetz.

Zwar haben es Sheriffs auf dem ãData-HighwayÒ schwer,

denn wegen seiner dezentralen Struktur lŠsst es sich kaum regulieren.

Mittlerweile ist die Anarchie im Internet aber vorbei, die

Claims sind abgesteckt. Durch das ãMultimedia-GesetzÒ sind Provider

verpflichtet, den Jugendschutz zu berŸcksichtigen. Zudem

surfen Polizei, jugendschutz.net und Staatsanwaltschaften durchs

Netz. Meist reicht eine Strafandrohung aus, um unliebsame deutsche

Contents aus dem Netz zu bannen. So wurde vor kurzem das

Filmportal www.schnittberichte.de aus JugendschutzgrŸnden behšrdlich

geschlossen. Ob die Indizierung von Online-Angeboten

aber sinnvoll ist, sei wegen des unerwŸnschten Werbeeffektes

dahingestellt.

Eine diskutable Mšglichkeit, MinderjŠhrige vor ungeeigneten

Inhalten zu schŸtzen, stellt das ãRatingÒ-Verfahren dar: Alle Anbieter

verpflichten sich, ihre Seiten nach speziellen Kriterien (wie viel Sex,

Gewalt oder ãbad languageÒ sie enthalten) mit einer Altersfreigabe zu

versehen. Ein Filterprogramm (z.B. ICRA) erlaubt dann nur den

Zugriff auf entsprechend freigegebene Seiten.

Eine SchlŸsselrolle kommt den Suchmaschinen zu, denn wer dort

nicht gefunden wird, existiert praktisch nicht im Web. Wenn Regierungen

Druck z.B. auf Google ausŸben, bestimmte Online-Angebote

nicht zu listen, dann weist dies zensorische ZŸge auf. Es wundert

wenig, dass etwa China schon den Zugang zu Suchmaschinen unterbindet.

Aber dass auch in Deutschland zahlreiche Websites (vor allem

wegen rechtsideologischer Inhalte) nicht aufgelistet werden, erscheint

mir bedenklich.

Eine neue QualitŠt zeigt die Anordnung des DŸsseldorfer RegierungsprŠsidenten

JŸrgen BŸssow, der Ende 2001 78 nordrhein-westfŠlische

Provider anwies, den Zugang zu einigen rechtsradikalen

Websites zu sperren. 38 Provider legten Widerspruch gegen die

SperrverfŸgung ein. Das Verwaltungsgericht DŸsseldorf hat die

RechtmŠ§igkeit dieser Anordnung jetzt bestŠtigt.

Andere LŠnder Ð andere Sitten

Jede Gesellschaft hat ihre eigenen Empfindlichkeiten, die den

Einsatz zensorischer Ma§nahmen rechtfertigen sollen. In repressiven

Staaten wie dem Irak, Iran, China, Nordkorea oder auch

Russland kšnnen unerwŸnschte €u§erungen strenge Strafen nach

sich ziehen.

Aber auch in demokratischen Rechtsstaaten gibt es AnimositŠten.

So verwahrte sich die Schweiz Mitte Dezember 2002 gegen das

Buchcover von ãImperfect JusticeÒ des amerikanischen Autors

Eizenstat, da auf dem Umschlag ein Hakenkreuz aus Goldbarren Ÿber

der Schweizer Nationalfahne zu sehen ist. Rechtliche Schritte gegen

eine Veršffentlichung werden geprŸft.

BŸrgerrechtsorganisationen wie Reporter ohne Grenzen (www.

rsf.org) veršffentlichen zur internationalen Pressefreiheit LŠnderrankings.

Beim aktuellen Ranking schneidet Deutschland Ÿbrigens

mit einem Platz unter den ersten fŸnf LŠndern recht gut ab. Weit abgeschlagen

auf Platz 40 findet sich Italien, was auf die fragwŸrdige

Politik Berlusconis zurŸckzufŸhren ist. Der Medien-Mogul und

MilliardŠr hat eine Reihe von selbstzweckdienlichen Gesetzen verabschiedet,

die die Meinungsfreiheit massiv einschrŠnken. Autoren

Berlusconi-kritischer Veršffentlichungen werden mit Straf- und Zivilprozessen

in Millionenhšhe mundtot gemacht, TV-Redakteure abgesetzt,

wenn sie nicht linientreu sind.

Im prŸden Amerika ist z.B. die Verbreitung der ãAuschwitz-LŸgeÒ

oder anderer neonazistischer Pamphlete (au§er wenn es sich um so

genannte ãhate speechÒ handelt) ebenso durch die Meinungsfreiheit

gedeckt wie exzessive Gewaltdarstellung, wŠhrend Erotik dort

strenger geahndet wird. Die USA als ãLand of the FreeÒ, ãHome of

the BraveÒ Ð eigentlich ein Hort traditioneller Meinungsfreiheit Ð

haben durch Bush und nach dem 11. September mit dem ãUSA Patriot

ActÒ schwere Eingriffe in die €u§erungsfreiheiten durchgesetzt

und planen z.B. mit dem ãTotal Awareness ProjectÒ die GeneralŸberwachung

des Datenverkehrs. Selbst Microsoft entfernte die

Darstellung des World Trade Centers aus der neuesten Version des

Flugsimulator-Computerspiels. Freimut Duve berichtet in seinem

FR-Artikel ãDas Ende der VielfaltÒ (21.10.2001) von gefeuerten

Journalisten, die es gewagt hatten, Bushs Politik zu kritisieren. Der

ãMarketplace of IdeasÒ ist in Gefahr zum Sklavenmarkt der StaatsrŠson

zu verkommen. Es gab aber auch schon vorher z.B. zahlreiche

Interessengruppen wie die ãMoral MajorityÒ, die etwa gegen Sexdarstellungen

im Fernsehen agitierten. So vertreibt eine Organisation

namens CleanFlicks familientauglich gekŸrzte Hollywoodstreifen,

aus denen sie alle angeblichen Sex- und Gewaltszenen herausgeschnitten

hat. Im Gegenzug verklagten Produktionsfirmen die

Moralapostel wegen Urheberrechtsverletzungen.

Dokumentation

6 journalist3/2003

ResŸmee und Ausblick

ãWenn man sŠmtliche Tabus zerstšrt und den Menschen alles erlaubt,

nimmt man ihnen eine der wenigen Freuden, die sie auf Erden

noch haben: die †bertretung von Verboten.Ò (Donald Prick).

Im Grunde ist jede Zensur politisch und ein Spiegel der Gesellschaft,

da Verbote mehr Ÿber ihren Zustand sagen als das, was erlaubt

ist. Doch: Wer bewacht die WŠchter? Gilt die Meinungsfreiheit auch

fŸr ihre Gegner?

Einfach darf man es sich nicht machen. Filter und Tabus haben ihre

Berechtigung. Verbote schaffen Orientierung und sind nicht zuletzt

ein Instrument der kulturellen Differenzierung, der feinen Unterschiede

zwischen ãerlaubtÒ und ãnicht erlaubtÒ. Die Verletzung von

Verboten verschafft Erkenntnisgewinn. Sie mŸssen aber verhŠltnismŠ§ig

sein und kšnnen eine Erziehung zur Medienkompetenz nicht

ersetzen, denn Normen strukturieren die UnŸbersichtlichkeit des

Lebens. George Bernhard Shaw meinte: ãFreiheit bedeutet Verantwortlichkeit;

das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich

vor ihr fŸrchten.Ò

Kienzle und Mende meinten in ihrem Buch ãZensur in der BRDÒ,

letztlich sei jeder Mensch und jede Behšrde bei unliebsamen €u§erungen

auf dem Sprung zum Zensor. Zensur basiert auf der Annahme, dass

erst gesetzliche Regelungen Ÿber das, was gedruckt, gesendet oder ins

Netz gestellt werden darf, uns vor unserer eigenen niederen Natur bewahrt,

vor der Konfrontation mit den Urtrieben wie Angst, Lust, Ekel,

Sex und Tod. Insbesondere MinderjŠhrige, die in ihrem Selbst- und

Weltbild noch nicht gefestigt sind, gelten als gefŠhrdungsgeneigt.

So will ich den sinnvollen Jugendmedienschutzgedanken nicht in

Abrede stellen und meine, dass die Wahrung der MenschenwŸrde

durchaus eine Rechtfertigung fŸr Zensur und Verbote darstellt. Ohne

Diskussion gehšrt Kinderpornografie (wenn sie real ist, bei BŸchern

oder Comics ist das schon schwieriger) verboten. Aber diese abgefilmten

oder fotografierten Verbrechen an Wehrlosen gehšren eh nicht

in die Diskussion um Kunstfreiheit, die sich nur auf freiwillige und

kŸnstlerische Erzeugnisse von Erwachsenen fŸr Erwachsene bezieht.

Gerade neue Medien werden gerne als Verursacher fŸr gesellschaftliche

Fehlentwicklungen gebrandmarkt, wenn au§ergewšhnlich

bizarre Verbrechen wie der Amoklauf von Erfurt oder der Kannibalismus-

Fall in Hessen passieren. Nach Erfurt wurde der Jugendschutz

verschŠrft, der ãGewaltverherrlichungsparagrafÒ 131 StGB sollte auf

Anweisung der damaligen Justizministerin DŠubler-Gmelin verstŠrkt

zum Einsatz kommen. Sie verlor Ÿbrigens ihren Ministerposten

wegen eines Vergleichs der Politik George W. Bushs mit der von

Hitler. ãEine Zensur findet nicht statt ...Ò?

Zumeist wird die Meinungsfreiheit als etwas Normales hingenommen.

Sie ist aber ein stets gefŠhrdetes Gut. Unhinterfragte Kommunikationstabus

haben die Eigenschaft, sich zu verselbststŠndigen.

UnerwŸnschtes kann auch verdrŠngt werden, indem die Medien nicht

darŸber berichten. So mŸssen wir der BundesprŸfstelle dankbar sein,

dass sie alle Indizierungen und Verbote auflistet.

WŠren wir ohne Zensur nicht um einiges Šrmer, mŸssten wir doch

auf die Diskussion um die jeweiligen Grenzen und den Prickel ihrer

†berschreitung verzichten, wenn uns ein untersagtes Medienprodukt

in die Finger gerŠt. Nicht zuletzt entfaltet Zensur eher die gegenteilige

Wirkung. Die Faszination des Verbotenen bringt raffinierte Umgehungen

hervor, die den verfolgten Medien ein Interesse bescheren,

das ihnen sonst kaum zuteil geworden wŠre. Denn Indices waren

schon immer Einkaufslisten fŸr den Giftschrank. Besonders deutlich

wird dies bei indizierten Online-Angeboten, auf die der Fan erst durch

die exakte Internet-Adresse im Bundesanzeiger, JMS-Report und

BPjS-Aktuell aufmerksam wird.

Aktuelle Ausstellungen wie ãDer verbotene BlickÒ (…sterreichische

Nationalbibliothek 2002) oder ãDer GiftschrankÒ (Bayerische Staatsbibliothek

2002) sowie die ZensurbŸcher meines Verlages verdeutlichen

das VerhŠltnis von Wertewandel, Zeitgeist und Geschmacksurteil,

was der …ffentlichkeit zugemutet werden kann und was

eliminiert gehšrt. Z.B. Erotik, die noch vor wenigen Jahrzehnten als

unzumutbar galt und nur unter der Ladentheke mit ãVerpflichtungsscheinenÒ

an VolljŠhrige abgegeben werden durfte oder verschŠmt in

Privateditionen erhŠltlich war, findet sich heute an jedem Bahnhofskiosk,

im Programm der Privatsender oder im Internet.

Diese Entwicklung wirft Fragen auf: Droht stŠndig die Gefahr sittlicher

Verrohung und moralischer Verwahrlosung durch den Einfluss

der Medien? Ist die zunehmende LiberalitŠt gŸnstig oder gefŠhrlich

fŸr den ethischen Minimalkonsens einer Gesellschaft? Ist der abgestumpfte

Konsument eines postmodernen ãanything goesÒ wirklich

freier, oder entzaubern auf Dauer langweilige TabubrŸche nicht auch?

Schaffen oder forcieren die Medien BedŸrfnisse, oder sind sie nur ein

Spiegel der Gesellschaft? Und schlie§lich der Ausblick in die kŸnftige

Entwicklung: Wenn wir heute belŠcheln, was frŸher in den Giftschrank

verbannt wurde Ð was erwartet uns dann in nŠchster Zeit?

Welche Werte und Tabus werden zur Disposition stehen?

Gleichwohl erscheint das alles im globalen Vergleich oft als Luxusproblem.

So schrieb Sonja Zekri in ihrem SZ-Artikel ãFreiheit, die

wir meintenÒ (21.12.2002): ãDer schŠrfste Zensor aber ist nach wie

vor die Armut: 80 Prozent der Weltbevšlkerung haben noch nicht einmal

Telefon. Telearbeit, Telelearning und Telemedizin bleiben Spielereien

einer privilegierten Minderheit.Ò

Da die Grenzen des in einer Demokratie Hinnehmbaren verŠnderlich

sind, kann es keine endgŸltigen Ergebnisse geben. Ein Grund

mehr vor allem fŸr Journalisten, Autoren und Multiplikatoren, sie

aufmerksam zu beobachten.

Um auf den fragenden Titel meines Vortrages zu antworten: Eine

Zensur findet tatsŠchlich nicht statt Ð sondern viele. Zu Recht oder zu

Unrecht?

Heinrich Heine meinte: ãDie Freiheit der Meinung setzt voraus,

dass man eine hat.Ò

Dr. Roland Seim arbeitet als Journalist und

Online-Redakteur in MŸnster (www.rolandseim.de)

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Wehrli, Reto: Verteufelter Heavy Metal, MŸnster 2001

7 journalist3/2003

journalist.de

Dr. Roland Seim arbeitet als Journalist und

Online-Redakteur in MŸnster (www.rolandseim.de)