Die AngefahrenenSchulkinder
"Where they have burned books, they
will end in burning human beings."
- Heinrich Heine -
1984
Unterlassungsklage
von Peter Maffay.
1988
Anzeige
wegen groben Unfugs und kurzzeitige Inhaftierung in Wiesbaden.
1989
Oktober
bis Juni Verfahren wegen Verunglimpfung von Religionsgemeinschaften.
1991
diverse
Anzeigen wegen des »Tötet-Onkel-Dittmeyer-Aktionsshirt« (unter
anderem wegen Aufforderung
zur Gewalt und Rufschädigung). Alle Verfahren in dieser Sache wurden
eingestellt oder zugunsten der
Angefahrenen Schulkinder entschieden.
1992-1994
Schulkinder
gegen Graf. Im Mai 1994 verlieren die Schulkinder in letzter Instanz und zahlen
die Rekordschmerzensgeldsumme von 60000 DM
(zuzüglich Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten).
The
song I Wanna Make Love to Steffi Graf by Die Angefahrenen Schulkinder was
banned, and the group fined 60,000 Deutschmarks for insulting
behaviour. All copies of the record were confiscated.
Found under: http://freespace.virgin.net/alasdair.y/GERMANY.HTM
Literaturwissenschaftliches Gutachten zum Liedtitel "I wanna make love to Steffi Graf" der Gruppe Die angefahrenen Schulkinder' von Dr. Reiner Marx, Uni Saarbrücken.
Als Dozent für neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes habe ich mich in Forschung und Lehre mehrfach mit Theorie und Ausdrucksformen des Kabaretts befaßt, zuletzt im Sommersemester 1992 eine Lehrveranstaltung zum Thema 'Das literarische deutschsprachige Kabarett' gehalten. Daneben habe ich mehrere Kabarett-Seminare bei der Friedrich-Ebert-Stiftung geleitet, in denen es um die Vermittlung praktischer Fähigkeiten und um die Beherrschung satirischer Stilmittel ging. Außerdem bin ich in meiner Freizeit selbst kabarettistisch tätig. Im folgenden nehme ich zu dem Text des Rockkabaretts 'Die angefahrenen Schulkinder': 'I wanna make love to Steffi Graf ' Stellung:
1.
Grundsätzliches
Zur Beurteilung von kabarettistischen, satirischen Texten ist zunächst
von einer grundlegenden Differenz zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen
Textsorten auszugehen. Fiktionale (oder poetische oder literarische) Texte
sind solche Diskursformen, in denen "reale oder nichtreale (erfundene)
Sachverhalte als wirkliche dargestellt" werden, die "aber prinzipiell
keine feste Beziehung zwischen dieser Darstellung und einer von ihr unabhängigen,
objektiv zugänglichen und verifizierbaren Wirklichkeit behaupten (wie
etwa die Geschichtsschreibung)." (Metzler Literatur Lexikon 1984, S.150).
Überdies unterscheidet sich der fiktionale Diskurs durch eine andere
Art des Sprechens vom nichtfiktionalen; während dieser in der Regel begrifflich
argumentiert, verfährt jener in erster Linie bildhaft, und zwar auch
dann, wenn nicht explizit Stilmittel wie Metaphern, Metonymien udgl. verwendet
werden. Diese Differenz der Diskursformen mag auf den ersten Blick an dem
Unterschied zwischen einem Gedicht und einem Zeitungsartikel deutlich werden.
Während die erste Textsorte subjektiv, fiktional und bildhaft- symbolisch
sich präsentiert, zielt die zweite auf Objektivität? Realität
und begriffliche Argumentation. Selbst die in fiktionalen Texten auftauchende
Ich-Rede darf auf keinen Fall dazu verleiten, den Fiktionscharakter des entsprechenden
Textes zu übersehen. Die Literaturwissenschaft hat deshalb beispielsweise
für den Ich- Sprecher in Gedichten den Terminus lyrisches Ich' eingeführt,
um eine scharfe Distinktion zwischen fiktionalem Ich Sprecher und realem Autor
hervorzuheben. Auch der Fachterminus des 'Rollentextes' verweist auf diese
fundamentale Differenz zwischen Autor als Urheber des Textes' und einer fiktiven
sprechenden Figur, oft einem für die eigene Zeit kennzeichnenden Typus.
Die satirischen literarischen Ausdrucksformen, auch Lieder, Songs udgI. sind
a priori als im weiteren Sinn fiktionale Redeformen zu behandeln. Entsprechend
treffen auch diese fiktionalen Diskurse keine Tatsachenbehauptungen (sonst
würden sie ja eine andere Form der Präsentation wählen!) und
treten natürlich keinerlei Wahrheits- oder Wahrscheinlichkeitsbeweis
im Sinne einer logischen Realitätsbeziehung an. Wegen dieses spielerischen
Charakters fiktionaler Textsorten eignen sich diese ganz besonders, Gedankenspiele,
Phantasien, Wünsche oder Utopien zum Ausdruck zu bringen oder fiktive
'Wirklichkeiten' zu erfinden, deren Fiktionalität aber durch die Wahl
der jeweiligen Textsorte erkennbar bleibt, auch wenn die inhaltliche Seite
des Textes keine eindeutigen Fiktionalitätshinweise enthält. Deshalb
ist für die Beurteilung ästhetisch-fiktionaler Texte die Berücksichtigung
der Form-Inhalt-Relation so entscheidend. Die Wahl einer solchen Textsorte
signalisiert a priori deren Fiktionszugehörigkeit.
Aufgrund des Spielcharakters ästhetisch-fiktionaler Texte sind Geschmacksurteile
sicher kein adäquates Beurteilungskriterium, zumal diese in der Regel
rein inhaltlich argumentierende oder wertende Aussagen darstellen. Nur Urteile,
die der Form-Inhalt-Relation in diesen Texten Rechnung tragen, vermögen
deren ästhetischen Gehalt zu fassen und sie als ästhetische Konstrukte
zu begreifen.
Dabei gilt es: gewärtig zu sein, daß fiktionale Redeweisen, vor
allem in satirisch kabarettistischen Kontexten, durchaus Tabuverletzungen
enthalten können. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts konstituierte sich
eine moderne 'Ästhetik des Häßlichen' (anzusetzen etwa mit
Baudelaires [es fleurs du mal' 1857), die in bewuBter Absetzung von einer
bürgerlichen Ästhetik des nur Schönen die Nacht- und Schattenseiten
menschlicher Existenz, vor allem auch in der Großstadt mit ihren sozialen
Problemen radikal thematisierte und für die Literatur der Moderne richtungweisend
wurde. Seit dieser Zeit ist Tabuverletzung gewissermaßen als eine Möglichkeit
künstlerischer Programmatik nicht mehr wegzudenken, und es hieße
einen Großteil inzwischen anerkannter moderner Kunst zu ignorieren,
wollte man ihr mit moralischen oder Geschmacksurteilen begegnen. So ist die
künstlerische Bewegung des Dadaismus, die 1916 während des Ersten
Weltkrieges in Zürich entstand, inzwischen längst als eine der bedeutsamsten
Tendenzen der Moderne erkannt, obgleich das ästhetische Programm dieser
Kunstrichtung gewissermaßen eine experimentelle und provokative Anti-Kunst
anstrebte, für die radikale Tabuverletzungen, Auflösung aller bis
dahin gültigen Wertmaßstäbe und absolute Freiheit der künstlerischen
Tätigkeit selbstverständlich waren. Nicht zufällig war die
dadaistische Kunstrichtung gerade auch in der Entwicklung formaler Ausdrucksmöglichkeiten
von radikaler Kreativität, indem man in kabarettistischer Präsentation
auf der Bühne des 'Cabaret Voltaire' mit Zufallstexten, Lautgedichten,
Kinderversen oder Geräuschkonzerten experimentierte und auf diese sprachlich
anarchische Weise mit einer 'Ästhetik des Wahnsinns' künstlerische
Opposition gegen den real existierenden Wahnsinn der eigenen Zeit betrieb.
Von hier nahm tabuverletzende Satire ihren Ausgang und wurde in der Folge
besonders in der Geschichte des Kabaretts eine radikale Ausdrucksmöglichkeit,
die sich nicht mehr wegdenken läßt. Schon 1919 formulierte Tucholsky
programmatisch angesichts einer aus den Fugen geratenen Welt: "Was darf
die Satire? Alles." (Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke Bd.2 1919-1920.
Reinbek 1975, S.44) Tucholsky plädiert hier für eine bedingungslose
gedankliche Freiheit, die sogar elementare Übertreibungen und potentielle
Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen kann, um ihre Aussageintention zu erfüllen.
Schon früher hatte Sigmund Freud auf die unabdingbare Wichtigkeit unzensierten
ästhetisch- fiktionalen Sprechens hingewiesen und damit den Sonderstatus
des literarischen Diskurses eingefordert, dem allein es gestattet sei, in
einer auf permanentem Triebverzicht gegründeten Gesellschaft und Kultur
das damit verbundene Unbehagen zum Ausdruck zu bringen ((Das Unbehagen in
der Kultur') und der damit einen Freiraum für die Tätigkeit des
Phantasierens und Träumens bedeute. Mit dem Begriff des 'Tagtraums' faßt
er die Leistung des fiktionalen Diskurses, der ansonsten tabuisierte Phänomene
wie sexuelle Phantasmen, aggressive Regungen oder infantile Wünsche zu
artikulieren und gleichzeitig durch die formale Einbettung (Formgebung) zu
bannen vermag. In diesem Sinne stellt der fiktionale Diskurs ein Ventil für
gesellschaftlich Verdrängtes dar, wobei im geformten Aussprechen gewissermaßen
eine Bewältigung erfolgt. (Vgl. Sigmund Freud: Der Dichter und das Phantasieren
(1908) Studienausgabe Bd. 10. Frankfurt a.M. 1969, S.169ff.) Dieser Ventilcharakter
für Phantasmen und aggressive Impulse spielt vor allem im Bereich von
kabarettistisch-satirischen Ausdrucksformen eine entscheidende Rolle und sollte
als mentaler Freiraum auch besonderen Schutz genießen
2.
Zum Text und zur Text-Musik-Relation
Die Zugehörigkeit des Liedes (Song) 'I wanna make love to Steffi Graf
zu der oben beschriebenen Kategorie der ästhetische-fiktional-satirischen
Textsortengruppe steht außer Zweifel. Eine Fülle von formalen Merkmalen
läßt eine eindeutige Zuordnung zu, beginnend mit der Lied haften
Präsentation über das Reimschema (Endreime, Binnenreime usf.) bis
hin zur metaphorischen Verwendung bestimmter Begriffe (racket, balls usw).
Im übrigen erfolgt die Zuordnung zu besagter Textsortengruppe und damit
auch zum Kompetenzbereich literatur- und musikwissenschaftlicher Analyse durch
die Autoren/Künstler/Musiker selbst. Der Kunstcharakter ist mit der Wahl
der Textsorte a priori gegeben, ganz unabhängig von jeder qualitativen
Bewertung. Indem ein Autor beispielsweise einen von ihm produzierten Text
als Roman oder Novelle bezeichnet, ist er als solcher zu behandeln und fällt
in den Kompetenzbereich literaturwissenschaftlicher Analyse. Gleichgültig,
ob die Gruppe 'Die angefahrenen Schulkinder' als Rockkabarett, Comedy Show,
Nonsens-Truppe oder ähnlich bezeichnet wird (die Bezeichnungen auch in
der Presse sind hier durchaus divergent), gehören ihre Texte eindeutig
zu der oben beschriebenen Gruppe. Allein daß öffentliche Auftritte
in diesem Bereich als Konzerte bezeichnet werden, läßt an dem Kunstcharakter
der einzelnen Beiträge keinen Zweifel. Damit sind aber die Texte als
polyvalente Gebilde einzuordnen und als Gegenstände von Interpretation
zu begreifen.
Auch die Tatsache, daß eine tatsächlich existierende Person (hier
ist es ja nicht nur die Tennisspielerin Steffi Graf, sondern die Namen weiterer
Tennisspielerinnen werden ebenfalls explizit genannt) in dem besagten Text
auftaucht, widerspricht keineswegs seiner Zugehörigkeit zu der ästhetischen
Textsortengruppe. Es ist nicht nur so, daß literarische Texte häufig
mit den Namen tatsächlich existierender Personen operiert haben und immer
noch operieren (besonders im satirisch-kabarettistischen Bereich ist dieses
Ausdrucksmittel absolut üblich); hinzu kommt, daß die Nennung konkreter
Namen in diesem Textsortenbereich grundsätzlich einen 'Mehrwert' an Bedeutung
gewinnt, den man als symbolisch-allegorische Dimension bezeichnen könnte.
Ebenso wie ein sprechendes Ich niemals plan mit dem Autor identifiziert werden
kann, sondern als eingeführte 'Kunstfigur' behandelt werden muß
(s.o.), sind auch tatsächlich existierende Personen in diesem Kontext
niemals nur als solche zu betrachten, sondern immer ebenfalls als Kunstfiguren',
die über ihre Referenz auf eine wie auch immer geartete Realität
hinaus für etwas stehen. Der Text präsentiert sich als sexuelles
Phantasma eines männlichen Sprechers, also möglicherweise als fiktionaler
Rollentext eines Jugendlichen, der seine Begehrenswünsche auf die ihm
unerreichbare berühmte Tennisspielerin Steffi Graf richtet.
Dies ist insofern nicht verwunderlich, als Steffi Graf in hohem Maße
als öffentliche Person präsent ist, vor allem in medialer (Presse,
Fernsehen) Vermittlung. Diese medial vermittelte Einbeziehung eines jeden
in das Privatleben einer ;öffentlich präsenten Person , das damit
auch den privaten Charakter vollkommen verliert und zu einem öffentlich
zu behandelnden Thema wird, fordert gewissermaßen einen satirisch-kabarettistischen
Zugriff heraus (ein Parallelfall wäre die öffentlich- mediale Anteilnahme
am Kind von Boris Becker). Ein im Grunde künstlich 'gemachtes' Thema
wird für die Gesellschaft plötzlich ihr eigenes. Die satirische
Bezugnahme auf diesen Sachverhalt verletzt dann natürlich nicht eine
konkrete Frau, sondern eine für dieses Prinzip stehende repräsentative
öffentliche Figur. Auf diesem Hintergrund würde sich der Text beispielsweise
kritisch gegen die Verblendung der Leute wenden, die sich plötzlich verpflichtet
sehen, gewissermaßen als dazugehöriges Familienmitglied schützend
aufzutreten. Der Text greift genau diese Privatheit auf, überzeichnet
sie ins Intime und verletzt somit vorsetzlich ein Tabu, das allerdings nur
künstlich existiert? weil die Einbeziehung in diese Familie natürlich
ebenfalls nicht echt ist. Überdies ist die Präsentation von Steffi
Graf als Objekt sexuellen Begehrens keine Erfindung der Gruppe 'Die angefahrenen
Schulkinder', sondern offensichtlich ein von der berühmten Tennisspielerin
selbst gewollter Aspekt ihrer öffentlichen Präsentation in Form
von Werbung. So zielen die unzählige Male gesendete Werbung für
ein italienisches Pasta-Produkt mit dem eingängigen Slogan 'Farfalle
- der Beginn einer kochenden Leidenschaft' und das dazugehörige erotische
Setting des Werbespots durchaus auf eine Vermarktung als attraktive und erotisch
wirkende Frau. Daß der leidenschaftlichen Verfallenheit an eine Nudelsorte
zudem ein leicht perverser Ruch anhaftet der sicherlich auch ironisch- augenzwinkernde
Konnotationen besitzt, scheint durchaus werbestrategisch eingesetzt zu sein.
So präsentiert diese Werbung gewissermaßen eine 'andere' Steffi
Graf, die im Privaten durchaus als erotische und erotisierende Frau erscheint,
wenngleich ihr öffentliches Auftreten das Bild einer sauberen, tugendhaften,
'cIeanen' Sportlerin vermittelt. Aber durch das fraglos mit eigenem Einverständnis
hergestellte Bild eines erotischen Vamp Typs ist schwerlich Klage zu führen
über dessen konkrete Wirkung oder satirische Verarbeitung (Die Geister,
die ich rief...). Das Attentat auf Monika Seles, begangen von einem offenkundigen
Steffi-Graf-Fan, zeigt darüberhinaus, zu welchen absonderlichen Privatkonstruktionen
bei labilen Persönlichkeiten die permanente mediale Präsenz von
Stars führen kann, die, ob sie nun wollen oder nicht, auch immer als
voyeuristische Objekte des Begehrens fungieren. Ohne Zweifel greift der Song
solche Hintergrunde auf, ohne sie ausdrücklich zu thematisieren (was
aufgrund der öffentlichen Präsens der erotischen Selbststilisierung
via Werbung auch nicht nötig ist!), und radikalisiert sie zu einem konkret
ausgesprochenen Begehrenswunsch in durchaus rüde-aggressivem Ton (dirty).
Die gewählte Form des Country/Folksongs, in dem sich der Text musikalisch
artikuliert, eignet sich auf der einen Seite vorzüglich zur Darstellung
einsamer chauvinistischer Männerphantasien, wie dies aus der Geschichte
dieses Musikstils bekannt ist (man denke etwa an die oft in diesem Stil verpackten
Truckersehnsüchte nach einer liebenden Frau).
Andererseits widersprechen die unzensiert obszönen Inhalte dieser Männerphantasie
der 'sauberen', gut singbaren Liedform und schaffen damit eine Diskrepanz
zwischen Form und Inhalt. Gerade aber in der gleichzeitigen Erfüllung
und Nichterfüllung eines vorgegebenen Schemas liegt der satirische Reiz
des Songs, der mit seinen übertreibenden Tabuverletzungen Zusammenhänge
deutlich werden läßt: Einmal parodiert der Titel ein musikalisches
Genre mit seinen oftmals verlogen präsentierten einsamen Männerträumen,
die vor dem eigentlich sexuellen Wunsch haltmachen, zum andern macht der Song
mit radikalen Mitteln auf die Diskrepanz zwischen zwei öffentlichen Selbstdarstellungsformen
der Tennisspielerin Steffi Graf aufmerksam, indem er die erwähnte Seite
der auf erotische Wirkung abzielenden Werbung 'ernst' nimmt und in ihrer potentiellen
Wirkung auf Männer zur Sprache bringt. Durch die spielerisch-blödelnde
Präsentation des Textes wird dann jedoch dieser satirische 'Ernst' gebrochen
und der satirische Humor' erkennbar.
Denn während die einfache Sprache noch durchaus dem Country/Folk-Schema
entspricht (Wunschträume eines einfachen Mannes), schaffen die spielerischen
Elemente des Textes ebenso wie seine obszönen Bestandteile eine deutliche
Distanz zum Genre und bewirken damit eine weitere satirische Verfremdung.
Wortspiele wie sie mit den Doppeldeutigkeiten von racket und balls (Tennisbegriffe
und gleichzeitig umgangssprachliche Bezeichnungen für Sexualorgane) betrieben
werden oder der kindlichen Sprache entlehnte Wendungen wie 'doodle diddle
' oder 'onky donky' widersprechen in ihrem Blödelcharakter sowohl der
'Ernsthaftigkeit' des musikalischen Genres (Liebeslied) als auch des Themas
und verweisen unmißverständlich auf die satirisch ironische Dimension
des Songs, indem beispielsweise die Infantilität solcher Begehrenswünsche
offengelegt wird (Klein Fritzchens sexuelle Träume). Hinzuweisen wäre
noch auf eine Fülle von intertextuellen und intermusikalischen Verweisen
auf den Stil -und Duktus des unlängst verstorbenen Rockmusikers Frank
Zappa, der auf ähnliche Weise obszöne Themen musikalisch verpackt
und gleichermaßen provokativ wie albernd-blödelnd präsentiert
hat; dieser Stil gehört inzwischen zum klassischen Bestand der Rock-Satire.
Solche intertextuelle Zitattechnik verstärkt, zumindest für den
Kenner, den Kunstcharakter des Textes.
Die oben angedeuteten Interpretationslinien ebenso wie die aufgeführten
Stilmerkmale des Textes lassen ihn unzweideutig als ästhetisch-fiktional-satirisches
Gebilde erscheinen, das auch nur als solches rezipiert werden darf. Die Tennisspielerin
Steffi Graf erscheint als symbolische Kunstfigur, als ein durchaus austauschbares
prominentes Objekt des Begehrens, zu dem sie sich jedoch durch mediale Selbststilisierung
selbst forciert gemacht hat oder hat machen lassen. Allein schon der Binnenreim
make love/Steffi Graf könnte nahelegen' daß die Tennisspielerin
hier bloß des Reimes wegen gewählt wurde, was den spielerischen
Nonsens-Charakter des Textes unmittelbar evident macht.
Auch das in diesem Kontext auftauchende Inzestmotiv darf nicht als Tatsachenbehauptung
oder Verunglimpfung aus dem ästhetischen Kontext herausgelöst werden,
sondern muß streng im Zusammenhang des Rollentextes als Bestandteil
einer Männerphantasie gelesen werden, die um vage Gerüchte kreist.
Das Inzestthema wird jedoch gleichfalls durch das Stilmittel der Ubertreibung
(thousand times before) in einen satirischen Zusammenhang gerückt. Es
geht also nicht um die Diffamierung einer konkreten Frau und einer konkreten
Vater-Tochter- Beziehung, sondern um die rein fiktionale Entfaltung eben dieser
Männerphantasie, die sich lediglich exemplarisch an konkreten Personen
des öffentlichen Lebens festmacht; für die Auswahl gerade dieses
Personenkreises gibt es jedoch für den Satiriker genügend Argumente.
Die spielerische Präsentation des Liedes allein liefert hinreichend Beweise
für die ausschließlich satirische Intention des Textes.
3.
Rezeption
Es ist bei satirischen Texten dieser Art überdies von einer bestimmten
Hörer- resp. Zuschauergruppe auszugehen, für die der Fiktionszusammenhang
der präsentierten Texte von vorneherein geklärt ist und der die
Codes zur Dechiffrierung bestimmter Satiresignale zur Verfügung stehen.
Dieser Insider-Gruppe ist sozusagen eine adäquate Rezeption zuzutrauen.
Die Rezeptionsforschung spricht in diesem Zusammenhang vom Erwartungshorizont
der Rezipienten. Ein Besucher eines Rockkabarett-Konzerts oder der Hörer
einer CD einer Rockkabarett-Gruppe wird schwerlich etwas anderes erwarten
als satirische Texte oder Lieder. Für ungeübte Zuschauer stellt
sich zumindest durch den weiteren Kontext einer Fülle von satirischen
Texten allmählich ein Bewußtsein für den Charakter dieser
Texte oder den Charakter der gesamten Veranstaltung ein, so daß er durchaus
in der Lage sein wird, zunächst falsch Verstandenes im nachhinein richtig
einzuordnen. Dieses Problem möglicher falscher Rezeption ist ohnehin
nicht den Texten anzulasten, da sozusagen jeder beliebige Text, aufgrund komplexen
Struktur von Sprache, die Möglichkeit eines Mißverständnisses
impliziert. Die Möglichkeit des Mißverständnisses ist ein
Problem von Sprache schlechthin und nicht durch antizipierende zensierende
Maßnahmen auszuschalten. Was die Rezeption des inkriminierten Textes
betrifft, so beweist gerade die offensichtlich begeisterte Reaktion von Zuschauern
und Zuhörern das Verständnis des Textes in seinem satirischen Charakter.
Es wäre doch schwerlich vorstellbar, daß die Gesamtheit aller zustimmenden
Zuhörer begeisterte Befürworter von strafbaren Handlungen oder Beleidigungen
ist oder durch solche Texte zu Befürwortern gemacht wird. Im Gegenteil
ist davon auszugehen, daß die Lust an Texten und Liedern dieser Art
etwa im Erkennen satirischer Absichten liegt, in der Dechiffrierung satirischer
Codes und in der oben erwähnten Ventilfunktion für ansonsten gesellschaftlich
tabuisierte Phänomene. Die sprachlich-formale Bewältigung dieser
Phänomene in ästhetischen Gebilden, so tabuverletzend sie auch scheinen
mögen, hat eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Mit dem Recht auf
künstlerische Phantasie und auf kollektive Erlebnisformen solcher Tagträume
werden in der Regel Kräfte domestiziert, die sich auch anders und wirklich
gefährlich auswirken könnten. Wenn zudem noch die satirische und
damit kritische Intention eines fiktionalen Textes unübersehbar ist,
der auf real existierende Widersprüche hinweist, sollte man ihn nicht
tabuisieren.
Wenn man ihn tatsächlich für problematisch hält - ein persönliches
Geschmacksurteil kann niemandem verboten werden -, ist Tabuisierung sicher
auch der falsche Weg; sie verhilft ihm allenfalls zu noch mehr Aufsehen und
'Textbegehren' in der Öffentlichkeit.
http://www.christian-behrens.de/jura/rechtspr.htm
zum Thema kuriose Entscheidungen der Rechtwissenschaft
Web-Tips
zum Thema Zensur:
American Civil Liberties Union, USA: www.aclu.org
Alpha Comic Verlag, BRD: www.comic-zensiert.de
Electronic Frontier Foundation, USA: www.eff.org
International Freedom of Expression, CAN: www.ifex.org
Internetfreedom, GB: www.netfreedom.org
Jugendschutznet, BRD: www.jugendschutz.net
Peacefire, USA: www.peacefire.org
mehr zum Thema Zensur
http://www.censuriana.de/texte/seim.htm
http://www.jugendkulturen.de/mailorde/buecher/ab18_1.html
Literatur zum Thema Zensur
http://www.jugendkulturen.de/journal/jzensur.html
Link zum Thema Zensur und weitere Web Tips
http://www.novo-magazin.de/45/novo4545.htm
Verfahren - Artikel "Das Abstrafen der Sündenböcke" im
Novo Magazin, März/April 2000
http://www.jura.uni-sb.de/FB/LS/Knies/AMR/4k/4_kunstfreiheit.htm
juristische Querverweise der Arbeitsstelle Medienrecht der Uni Saarbrücken
zum Thema Kunstfreiheit
http://www.uni-kiel.de/v_mutius/nolte/staatsr2/Staat2.Fall9.PDF
Staatsrecht Fallrepitorium vom Wiss-Ass. Dr. Martin Nolte, Uni Kiel